Paradox?

Es war einer dieser besonderen Tage in der Werkstatt. Eine Idee hatte endlich Form angenommen. Vor mir stand der Becher, schlicht und still, und für einen kurzen Moment war da nur Freude. Kein Zweifel, kein Flüstern des inneren Kritikers, der sonst wie ein Schatten über meiner Schulter lauert. Doch die Stille war trügerisch. Kaum setzte sich die Freude, begann die Inspektion: Gibt es da einen Makel? Hätte ich es besser machen können? Warum nur, frage ich mich, ist es so einfach, das Ideal der Unvollkommenheit zu lieben, während ich gleichzeitig einer geheimen Perfektion hinterherjage?

Torsten Gripp | Dicker grüner Becher | 2025

Lao Tse würde über diese innere Zerrissenheit wohl lächeln. „Der Weise handelt nicht, und doch bleibt nichts ungetan“, sagt er. Aber wie handle ich, ohne zu handeln? Wie akzeptiere ich das Unvollkommene, ohne es zugleich verändern zu wollen? Es ist diese Spannung, die den kreativen Prozess zu einem eigenwilligen Tanz macht.
Im Kern meiner Arbeit steckt der Wunsch nach einer Balance: Wabi-Sabi flüstert mir zu, dass das Unvollkommene seinen eigenen Charme hat, während mein innerer Kritiker mich antreibt, immer ein Stück weiterzugehen. Es ist ein Spiel zwischen Loslassen und Streben. Vielleicht, so denke ich, liegt genau hier der Zauber. Der Moment, wenn ein Stück aus dem Ofen kommt, ist wie ein kleiner Triumph – nicht, weil es perfekt ist, sondern weil es lebendig ist.

Ich betrachte das Werkstück, drehe sie in meinen Händen, sehe die kleinen Unebenheiten, die misslungenen Stellen, die Spuren des Feuers. Sie erzählen Geschichten, und genau darin liegt eine besondere Form der Schönheit. In diesem Moment wird mir klar: Kunst entsteht nicht trotz der Fehler, sondern durch sie.

Am Ende nehme die Kamera zur Hand und halte das Ergebnis fest. Ein unvollkommenes, perfektes Werk. Vielleicht Kunst, vielleicht auch nur ein stiller Begleiter. Wer weiß?