Der Ton in meinen Händen spricht in einer Sprache, die keine Übersetzung, keine Buchstaben braucht. Er bäumt sich auf, widersteht, gibt nach. Meine Hände fragen, der Ton antwortet. Oder schweigt. Ein stilles Ringen.
Aber Worte: Manchmal fließen sie, manchmal verweigern sie sich. Und wenn sie kommen, dann oft anders, als man sie erwartet hat. Vielleicht liegt darin eine Art Magie – in der Ungreifbarkeit dessen, was sich formt.
Magie ist nicht Blitz und Donner, kein Spektakel, kein billiger Trick. Magie ist das Unsichtbare, das zwischen den Dingen lebt. Die leise Ahnung, dass da noch etwas ist, das man nicht ganz erfassen kann.
Ein Becher ist ein Becher – oder? Nein. Er ist ein geformter Moment. Ein Abdruck von Zeit. Von Atem. Von Stille. Von mir.
Mein Großvater sprach wenig. Aber wenn er sprach, dann wog jedes Wort schwer. Die Stille war sein Verbündeter, nicht sein Feind. Ich habe ihm oft dabei zugesehen, wie er stumm Dinge in die Hand nahm und wendete, als könnte er ihnen ihr Geheimnis entlocken. Vielleicht hat er das auch. Vielleicht hatte er eine Gabe, die verloren gegangen ist – die, in Dingen zu lesen. Gerade streichen meine Finger über die raue Oberfläche meines Lieblingsbechers, spüre seine Geschichte. Einmal Erde, dann Schlamm, jetzt Becher. Später vielleicht Scherbe.

Gegen den schnellen Hunger nach Sinn
Wir leben in einer Zeit, in der alles schnell gehen muss. Auch das Denken. Die Menschen wollen nicht mehr die Wege sehen, nur noch das Ziel. Sie verlangen nach der Quintessenz, dem extrahierten Gehalt, mundgerecht serviert. Es gibt keine Zeit mehr für Umwege, für Irrwege, für das Verlorengehen. Aber ist nicht gerade das der Weg zur Erfüllung und Zufriedenheit?
Der Becher in meiner Hand hat keine perfekte Symmetrie. Er ist nicht industriell gegossen, nicht aalglatt. Er trägt Narben, Spuren. Der Daumenabdruck in der Keramik ist mein stilles Manifest: Hier war ich – ein Mensch. Und das ist keine Kleinigkeit.
Kokoro-Kurinuki – so nenne ich meine Art zu arbeiten. Ein Wort, das nach mehr klingt, als es erklärt. Ein Wort, das sich nicht in einem Satz auflösen lässt. Es ist eine Methode, aber auch eine Haltung. Die Dinge nicht glätten, sondern ihnen eine Seele geben. Dem Zufall einen Platz einräumen. Dem Unfertigen ein Zuhause geben.
Die Gefahr der leichten Antworten
„Macht korrumpiert“, sagt man. Ich glaube, dass auch Worte korrumpieren können. Zu glatt, zu verführerisch, zu leicht verdaulich – und schon werden sie zu Werkzeugen der Manipulation. Wer die Sprache beherrscht, kann Menschen lenken. Vordenker werden zu Verführern. Ideen werden zu Parolen. Und plötzlich ist das Denken nicht mehr frei.
Mein Großvater wusste das vielleicht. Er wusste, dass Worte Gewicht haben. Dass man sie nicht leichtfertig in die Welt werfen sollte. Ich will es trotzdem wagen. Sprechen, schreiben – aber ohne zu verführen. Ohne zu langweilen. Ein Spagat. Ein Ringen.
Also forme ich weiter. Worte und Ton. Und ich hoffe, dass beides hält. Dass es Menschen gibt, die ihre Hände um einen Becher legen, ihn drehen, spüren – und einen Moment lang innehalten. Denn das ist vielleicht die größte Magie: Der Moment, in dem man für einen Augenblick nicht mehr sucht. Einfach, weil man sich längst gefunden hat.