Ein Leben im falschen Alter – Die Tragikomödie eines Zeitreisenden
Altersdiskriminierung! Ach, was habe ich darunter gelitten! Schon mein ganzes Leben lang. Eine Tragödie in mehreren Akten, mit mir als Hauptdarsteller. Und das, obwohl ich doch gar nicht um diese Rolle gebeten hatte. Aber was will man machen? Die Welt ist ein seltsames Theater.
Erster Akt: Der Winzling
Es begann früh. Viel zu früh. Als kleiner Wicht, kaum größer als ein zu heiß gewaschener Gartenzwerg, durfte ich nichts. „Dafür bist du noch zu klein!“ hieß es mit monotoner Regelmäßigkeit. Zu klein, um mit den Großen draußen im Regen zu spielen, zu klein, um ein richtiges Taschenmesser zu besitzen, zu klein, um die Geheimnisse der Erwachsenen zu verstehen. Das Leben war eine Ansammlung von geschlossenen Türen, die sich erst mit zunehmender Körpergröße öffnen würden. Ich aber wartete vergeblich auf meinen Eintritt in die Welt der Dürfenden.
Zweiter Akt: Der Halbstarke ohne Bart
Kaum hatte ich mich in die Rolle des Grundschülers eingefunden, ging das Drama in die nächste Runde. Als Halbwüchsiger war ich wiederum nicht alt genug, um mit den großen Jungs in der Ecke zu stehen und geheimnisvolle Rauchkringel in die Luft zu pusten. „Geh spielen!“ wurde mir gesagt, dabei wollte ich gar nicht spielen. Ich wollte einfach nur dazugehören. Aber nein, meine jugendliche Physiognomie ließ das nicht zu. Kein Bart, keine autoritäre Stimme, kein Hauch von Respektabilität – also wurde ich ignoriert. Ich versuchte mich mit einem Oberlippenflaum, den ich mit viel Hingabe pflegte, aber es half nichts. Manchmal vermutete ich, dass ich irgendwann einmal 30 sein würde, während mein Gesicht noch immer nach Schülerausweis schrie.
Dritter Akt: Der Jüngling im Erwachsenenanzug
Dann war ich plötzlich ein Mann. Ein erwachsener, fertiger, gestandener Mann. Nur leider merkte das niemand. Die Leute sahen mich an und vermuteten einen Praktikanten, einen Studenten, einen Schreibtischtäter in Ausbildung. Als Familienvater mit Eigenheim bekam ich ungläubige Blicke, wenn Staubsaugervertreter vor meiner Tür standen. „Ist Ihr Vater zu Hause?“ fragten sie höflich. Mein Vater? Der war 500 Kilometer entfernt, und doch schien die Welt zu glauben, dass er im Nebenzimmer säße, um mir beim Erwachsenwerden beizustehen. Ich seufzte, klappte die Tür zu und fragte mich, wann ich endlich wie ein richtiger Erwachsener aussehen würde.
Vierter Akt: Der kurze Moment der Normalität
Mit 50 war es dann plötzlich soweit. Für eine kurze, wundervolle Phase passte mein Alter genau zu meinem Erscheinungsbild. Niemand wunderte sich mehr über meine Anwesenheit in seriösen Geschäften, und die Menschen sprachen mich in einem Ton an, der frei von Zweifel und kindlicher Herablassung war. Ich genoß es. Für etwa zehn Jahre. Und dann – tja, dann kam das nächste Problem.
Fünfter Akt: Der Rentner, der keiner sein darf
Kaum hatte ich die 61 überschritten und mich in den wohlverdienten Ruhestand begeben, kam die nächste Welle der Altersdiskriminierung. „Was, schon in Pension?“ riefen die Leute aus. „Du bist doch viel zu jung dafür!“ Und wieder wurde ich nicht ernst genommen. „Was machst du denn jetzt den ganzen Tag?“ fragten sie mit einer Mischung aus Mitleid und Argwohn. Als ob ich nun plötzlich in einem Sessel verstauben und meine Tage damit verbringen würde, den Kanarienvögeln zuzusehen (hätte ich denn welche). Dabei hatte ich Pläne, Träume, Vorhaben! Doch die Welt starrte mich nur an und warf mir vor, noch nicht alt genug für mein eigenes Alter zu sein.
Sechster Akt: Der Alte ohne Nachweis
Nun, einige Jahre später, hätte ich gern die Vorteile meines Alters genossen. Vergünstigungen im Museum, ermäßigte Theaterkarten – lauter schöne Dinge, die mich für die Jahrzehnte der Diskriminierung entschädigen könnten. Doch was passiert? Ich muss meinen Ausweis vorzeigen! „So alt sind Sie doch noch nicht!“ sagt die Dame an der Kasse mit kritischem Blick. „Oh doch!“ sage ich mit Inbrunst und zücke mein Dokument. Sie mustert mich argwöhnisch, als vermutete sie einen raffinierten Hochstapler hinter meinem ergrauten Haar. Erst nach eingehender Prüfung nickt sie langsam und gibt mir meine Ermäßigung – als hätte ich eine olympische Qualifikation bestanden.
Was bleibt mir also?
Ich bin zu jung für die einen, zu alt für die anderen.
Ein Wesen zwischen den Welten, gefangen in einem ewigen Dazwischen.
Vielleicht sollte ich einfach anfangen, mich selbst nach meinem Vater zu erkundigen – vielleicht weiß der ja, wie alt ich wirklich bin.