Schuhe putzen

Mit einer Bürste in der Hand: Wie Schuheputzen das Leben verändert.

Es gibt Menschen, die glauben, Schuheputzen sei eine niedere Tätigkeit. Eine lästige Pflicht, bestenfalls eine Maßnahme gegen mütterlichen oder ehelichen Tadel. Diese Menschen irren. Schuheputzen ist eine philosophische Übung, eine Schule der Geduld und ein Dialog mit der Vergangenheit. Es ist, wenn man es genau nimmt, eine Tätigkeit von erhabener Würde – ein kleines Ritual des Alltags, das mit der richtigen Einstellung eine fast meditative Wirkung entfalten kann.

Neulich, also gestern, fiel mein Blick auf meine Waldviertler. Drei Jahre hatten sie mir treue Dienste geleistet, und jetzt sahen sie aus, als hätten sie einen erbitterten Streit mit einem Lehmfeld gehabt – und verloren. Nicht, dass ich mich darüber hätte wundern sollen. Schließlich hatten die Schuhe in den letzten Wochen so einiges mitgemacht: Spaziergänge durch feuchte Wälder, Ausflüge auf schlammige Felder, Begegnungen mit neugierigen Hunden, die nichts Besseres zu tun hatten, als an meinen Schuhspitzen zu schnüffeln.

Kurz gesagt: Die Schuhe waren fällig.

Das Dilemma des modernen Menschen

Früher, in besseren Zeiten, in Zeiten, als Väter noch eine kleine Schuhputzkiste besaßen und Söhne sich mit großen Augen danebenstellten, war Schuheputzen ein selbstverständlicher Akt. Heute? Heute steckt man Schuhe in die Waschmaschine, falls man sich überhaupt die Mühe macht, sie zu reinigen. Die Waschmaschine! Ich sage es ungern, aber da läuft etwas gewaltig schief in dieser Welt.

Mein Sohn, zum Beispiel, besitzt keinerlei Schuhputzutensilien. Nicht einmal eine kleine Bürste. Neulich erzählte er mir sogar stolz, dass er seine Sneaker einfach mit einem Feuchttuch abreibt. Ein Feuchttuch! Als sei ein anständiger Schuhputz ein bloßes Wischen, eine sterile Desinfektion, statt eines hingebungsvollen, achtsamen Akts. Man muss das Leder doch fühlen! Die Creme in kreisenden Bewegungen einarbeiten! Und dann dieser Geruch – nach Wachs, nach Honig, nach Spiritus. Der Geruch von Ernsthaftigkeit.

Die große Tat beginnt

Ich also griff zur Bürste. Erst kam die grobe, um den Dreck auszubürsten. Dann die Schuhcreme. Schwarze, glänzende Creme, so zäh wie eine alte Weisheit. Ich tauchte ein Tuch hinein und begann, das Leder einzureiben. Kleine, kreisende Bewegungen, als würde ich eine geheime Inschrift entziffern. Langsam erwachte der Schuh zu neuem Leben.

Nach der Creme kam die Polierbürste. Ein erhabener Moment. Manchmal frage ich mich, ob das Glänzen eines frisch polierten Schuhs nicht eine Art Spiegel der Seele ist. Eine Bestätigung, dass noch nicht alles verloren ist. Dass es Dinge gibt, die Bestand haben, wenn man sich nur um sie kümmert.

Ich hielt meine Waldviertler ins Licht. Sie schimmerten dezent, wie ein gut erzogener Gentleman, der weiß, dass Understatement die wahre Eleganz ist.

Der Moment der Wahrheit

Ich trug meine Meisterwerke in die Küche und streckte sie meiner Frau entgegen. „Schau mal! Wie neu!“

Sie warf einen kritischen Blick auf die Sohle. „Hast du auch das Profil sauber gemacht?“

Ich erstarrte. Das Profil! In meiner Begeisterung hatte ich mich ganz auf das Oberleder konzentriert und die Tatsache verdrängt, dass die wahre Herausforderung noch auf mich wartete. Die Rillen meiner Autoreifen-Sohlen waren immer noch ein Biotop für kleine Steinchen und hartnäckige Erdreste.

Ich seufzte. Aber ein Meister seines Fachs lässt sich nicht entmutigen. Also nahm ich einen Zahnstocher – ja, einen Zahnstocher! – und begann, die Rillen zu säubern. Es dauerte eine Ewigkeit, und ich fragte mich zwischendurch, ob nicht irgendwo auf der Welt ein geheimer Wettbewerb für solche Tätigkeiten stattfand. „Schuhprofil-Säuberung der Extraklasse“ oder so. Ich wäre sicher ein heißer Kandidat für die Endrunde.

Schließlich war es vollbracht. Mein Schuhwerk war nicht nur sauber, es war makellos.

Die Moral von der Geschichte

Während ich meine Waldviertler wieder an den Füßen hatte und mit großem Wohlwollen auf meine glänzenden Zehen blickte, wurde mir klar: Schuheputzen ist eine Übung in Achtsamkeit. In einer Welt, in der alles immer schneller und oberflächlicher wird, ist es eine dieser wenigen Tätigkeiten, bei denen man sich wirklich Zeit nehmen muss.

Man kann keinen Schuh in fünf Minuten richtig putzen. Es dauert. Man muss den Dreck entfernen, das Leder nähren, polieren, nacharbeiten. Es ist ein Handwerk. Eine Kunst. Vielleicht sogar eine Form von Therapie.

Und doch: Kaum jemand nimmt sich heute noch die Zeit dafür. Die Menschen hetzen durch ihr Leben, aber ihre Schuhe sind ungepflegt. Ihre Seelen vermutlich auch.

Vielleicht sollten wir alle hin und wieder innehalten, eine Bürste zur Hand nehmen und ein wenig Creme auftragen. Nicht nur auf unsere Schuhe, sondern auf alles, was uns lieb und teuer ist.

Denn wer seine Schuhe putzt, der versteht das Leben.

Schuhe putzen.