Vom Habenwollen – und dem Zuviel.
Ich besitze.
Besitze zu viel,
besitze zu gern,
besitze mich selbst kaum mehr inmitten dessen,
was ich besitze.
Regale, Schubladen, Ordner.
Stille Zeugen eines leisen Wahns.
Nichts davon schreit.
Aber alles spricht.
Oft alles auf einmal.
Ich sitze an meinem Schreibtisch – einer Art Gedankenhalde – und blicke auf Dinge, die mir gehören.
Oder habe ich längst ihnen gehört?
Was zuerst Besitz war, wird bald zum Besessenen.
Und ich: ein Kurator meines eigenen Alltagsmuseums.
Eintritt frei,
Ausgang unklar.
Die stille Invasion der Dinge
Sie kommen nicht auf einmal. Die Dinge.
Sie kriechen ins Leben, harmlos zunächst, wie kleine Ideen mit Preisschild.
Ein Stift. Eine Lampe. Eine Vase, die ich irgendwann irgendwo gesehen habe – und jetzt steht sie da.
Schön.
Bedeutend.
Und völlig überflüssig.
Der Messianismus des Messis, sagen andere.
Aber ich bin kein Messi. Ich bin höchstens ein Bedeutungsarchäologe.
Jeder Gegenstand hat eine Geschichte.
Und jede Geschichte ein Echo.
Nur: Die Echos türmen sich.
Sie reden durcheinander.
Sie fordern Aufmerksamkeit.
Raum.
Zeit.
Auf meinem Schreibtisch: ein Montblanc-Füller. Ein Meisterstück. Nein, drei.
Alle stillgelegt. Stillgelegt in einer winzigen Schublade eines kleinen Kästchens mit großer Bedeutung.
Ein Monument der Wunschzeit.
Ich wollte sie.
Damals.
Jetzt schreiben sie nicht mehr.
Oder ich nicht mit ihnen.

Vielleicht, denke ich, ist das Habenwollen ein Zukunftstier.
Es lebt nicht im Jetzt.
Es lebt im Davor – dem Moment, bevor etwas meins wird.
Und danach?
Wird es stumm.
Wird es schwer.
Wird es Staub.
Der Moment des Besitzens
Das Haben ist eine seltsame Geste.
Es ist keine Bewegung, sondern ein Zustand.
Etwas gehört mir.
Ich halte es.
Ich stelle es irgendwo hin.
Und dann?
Was passiert, wenn das Haben zum Sein wird?
Werde ich mehr durch das, was ich habe?
Nein.
Aber ich fühle mich oft weniger, wenn ich es loslassen soll.
„Unnötiger Ballast“, sagen Aufräumcoaches.
„Minimalismus ist die neue Spiritualität“, ruft das Netz.
Aber was ist unnötig, wenn alles eine Spur von mir trägt?
Wenn jede Kleinigkeit ein Splitter meines inneren Gewebes ist?
Der Mensch, ein Wesen mit Bindungspartikeln.
Ich kann mich nicht entbinden.
Die Dinge kleben.
Nicht durch Klebstoff, sondern durch Erinnerung.
Die Memo-Moleküle sind wirklich klebrig.
Sie lagern sich ab in Gegenständen,
vor Allem in Gerüchen,
auch in Kabeln.
Ja – selbst in den Kabeln.
Die Kabelkrone des Alltags
Manche sammeln Briefmarken.
Ich sammele Verbindungskabel.
Kabel zu Geräten, die ich nie mehr anschließe.
Kabel zu Geräten, die es nie gab.
Kabel zu Geräten, die ich noch erfinden müsste.
Sie leben in einer sehr großen Schachtel.
Ein Biotop der Vernetzung.
Manchmal ziehe ich ein Kabel hervor, wie ein Angler einen Fisch.
Und frage mich: „Wozu gehörst du?“
Es antwortet nicht.
Aber es bleibt.
Vielleicht braucht es mich.
Vielleicht ich es.
Oder wir haben uns nur noch nicht gefunden.
Ich nenne dieses Phänomen:
Konnektomantik – die Magie der Verbindungen, die keine mehr sind, aber noch nicht aufgelöst wurden.
Das Zuviel als Innenwetter
Manche Tage riechen nach Zuviel.
Ich blicke auf mein Zimmer – mein Zeughaus der Zugehörigkeiten –
und denke: Ich muss aufräumen.
Aber ich weiß nicht, wohin mit dem, was ich bin.
Denn ich bin nicht getrennt von meinen Dingen.
Ich bin ein Hauch von ihnen.
Sie tragen meine Handschrift.
Mein Sehnen.
Mein Warten.
Vielleicht bin ich ein Dingseelenhorter.
Ich horte nicht Dinge.
Ich horte Seelenabdrücke.
Spuren.
Funken.
Gesten.
Wegwerfen wäre Exorzismus.
Die Utopie des Genug
Gibt es ein Genug?
Ich stelle mir vor, wie ich am Meer sitze, nichts bei mir außer einem kleinen Notizbuch.
Ein Stift.
Ein Sonnenhut.
Der Wind streicht durch meine Gedanken wie eine alte Lehrerin, die endlich verzeiht.
So wenig.
So genug.
Ich glaube nicht, dass es mir gelingt.
Aber ich will dahin.
In eine Welt, in der Weniger nicht Verlust bedeutet.
Sondern:
Luft.
Weite.
Freiheit.
Denn das Habenwollen ist laut.
Es redet mir in alles hinein.
Es sagt: „Noch dies. Noch jenes. Dann bist du komplett.“
Aber ich war nie so unvollständig wie in jenen Momenten des größten Besitzes.
Das Habenwollenherz ist wie ein unstetes Tier.
Es kennt kein Zuhause.
Nur Verheißung.
Und Verzehr.
Ich will ihm einen Platz geben.
Ihm zuhören.
Aber ihm nicht mehr folgen.
Die stille Revolution des Lassens
Vielleicht beginnt alles mit einer kleinen Geste.
Ein Ding.
Ein Kabel.
Ein Stift.
Nicht loswerden.
Sondern freigeben.
Wieder ins Offene entlassen.
In den Kreislauf der Dinge.
Ich sehe meine etruskische Bronzefigur an.
Flohmarktfund. Wahrscheinlich römischer Touristenkitsch.
Aber sie schaut mich an, als wäre sie Teil eines alten Bundes.
Sie sagt nichts.
Aber sie wartet.
Vielleicht wartet sie darauf, dass ich mich verändere.
Dass ich ausräume, um einzuziehen.
In mein Leben.
In meine Zeit.
In mich selbst.
Der Weg führt durch das Zuviel.
Und endet nicht im Nichts.
Sondern in der Stille des GENUG.