Das Abenteuer im Nichtmehr.
Ich reise gern.
Neulich musste ich eine Reise abbrechen.
Statt monatelang unterwegs zu sein, war nach drei Tagen Schluss.
Aus.
Finito.
Ein idealer Punkt, um eine neue Reise zu beginnen, dachte ich. Nur wohin? Und wie?
Das neue Ziel: Mein Innerstes.
Genau dafür habe ich
meine Zen-Übungen.
Mein Yoga.
Mein Vermögen, Gedanken in positive Bahnen zu lenken.
Meine Neugier.
Mein Staunen.
Ich bin ich. Ich atme. Ich bewege meinen Körper und meinen Geist. Ich bin anwesend in diesem Leben. Friederike schwebt neben mir. Sie lächelt. Ihre Stimme ist leise wie das Rascheln der Blätter, wenn der Wind sich im Geäst verfängt. Sie ist meine Reisegefährtin. Aber Hauptberuflich ist sie mein Schutzengel. Ihre Hände sind warm, wenn sie mich anstupst. „Sieh hin“, sagt sie. „Nicht eilen. Bleib, wo du bist. Genau hier. Vergiss die Übungen.“
Also bleibe ich. Lausche meinem eigenen Atem. Und dem Ächzen der alten Zeder draußen vor dem Fenster. Das Hinhören ist eine Kunst. Kein Hastwerk, ich fühle mich wie ein Tier, das im Unterholz Spuren sucht. Mal scheu, mal wild. Es ist ein Abenteuer, das sich nicht in Straßen oder Routen misst. Sondern in dem Mut, mir selbst zu begegnen. In den stillen Winkeln des Denkens. Dort, wo Worte wie Seelenstaub entstehen. Oder Leisewunder. Worte, die nicht laut sein müssen, um zu tragen.
Unterwegs finde ich Denkgefährten. Nicht immer Menschen. Manchmal sogar ein Stein, den ich aufhebe. Oder eine Teeschale, die ich mit warmem Tee fülle. Jeder Gegenstand ein Herzraum. Ein Ding, in dem sich Erinnerungen sammeln. Manchmal auch Schatten. Alte Zweifel, die sich zeigen wie zögerliche Gäste. Ich lade sie ein, setze sie an den Tisch. Sie trinken still mit. Ich nenne sie Zersinnung. Wenn alles durcheinanderwirbelt und neu sortiert werden will. In den Schichten des Alten finde ich mein Zuhause. Das Rissige, das Abgewetzte, das nicht mehr glatt sein muss. Hier liegt die wahre Spiritualität. Nicht in fremden Tempeln, sondern in den Spuren, die die Zeit hinterlassen hat. In den Linien meiner Hände. Im abgegriffenen Griff der Teekanne. In der Wärme des Wassers, das über meine Finger rinnt. Ich habe nichts mehr zu verlieren. Auch nichts mehr zu verstecken. Alles darf jetzt sein. Jeder Gedanke ein Kompass, der mich nicht fortführt, sondern heimwärts.
Es ist Einkehrzeit.
Wenn die Welt draußen bleibt, während drinnen etwas aufleuchtet. Keine lauten Antworten. Nur Fragen, die wie Tautropfen an meinen Gedankenperlen hängen. Was bleibt, wenn alles vergeht? Was fließt weiter, wenn der Körper ruht? In solchen Fragen finde ich keine Lösungen. Aber ich finde mich selbst. Das genügt. Mein Atem, ein Wunder. Eine Wortschale, die sich füllt und leert. Kein Besitz, sondern ein stetiger Fluss. Das ist mein Seelenweg. Weil er mich weiterträgt, auch wenn ich still sitze. Unscheinbar, kaum zu ahnen, aber von großer Bedeutung.
Friederike nickt.
Ihre Augen sind milde.
Sie hat das schon lange gewusst.
Ich lerne es jetzt.
Wabi – das Schlichte. Sabi – das Gealterte. Zusammen bilden sie ein stilles Fest. Mein Garten ist voll davon. Ein rostiges Tor. Ein verwitterter Stein. Der Klang der Stille. Und ich? Ich gehöre auch dazu. Unvollkommen. Natürlich. Aber authentisch. Es sind die kleinen Dinge, die mir jetzt groß erscheinen. Der Riss in meiner Teeschale. Das Knarren der Dielen. Ein Falter, der sich in mein Zimmer verirrt hat. Dem ich das Fenster öffne. Alles Teil eines größeren Tanzes. Kleine Wesen, die das Leben feiern, ohne es laut zu verkünden. Sie fliegen durch mein Denken, lassen mich lächeln. Mehr braucht es nicht.
Manchmal überkommt mich ein Gefühl, das ich nur mit einem neuen Wort benennen kann:
Dankflut.
Eine Welle von Dankbarkeit, die sich nicht erklären lässt. Sie rollt durch mich hindurch, nimmt alles mit, was fest war. Spült den alten Staub aus den Regalen meines Herzens. In dieser Flut liegt keine Gefahr. Nur Reinigung. Und ein stilles Leuchten. Ich bin hier. In dieser Welt. Und doch nicht der gleiche. Ich bin wieder unterwegs, auch wenn meine Füße stillstehen. Jeder Tag ist ein neues Kapitel. Jedes Lächeln ein neuer Absatz. Und jeder Atemzug ein Gefäß für das, was das Leben mir schenkt. Ich umarme meine Risslinien und gebe ihnen Zeit auszuruhen.
So bleibe ich.
Und gehe zugleich.
Immer weiter.
Immer tiefer.
Immer näher zu dem, was wirklich zählt.