Ich habe nachgedacht. Keine Großtat. Nur ein stilles Zwiegespräch mit mir selbst. Zwischen Frühstückskrümeln und der Frage, warum mir in letzter Zeit so viele Menschen begegnen, die sich für das Zentrum der Welt zu halten scheinen.
Sie tragen Kronen. Mit Stolz. Selbstgefertigt aus Resten von Gestern und Eigenlob. Um sie herum dreht sich die Welt. Oder soll es zumindest. Erwartungen hoch wie Himmelsleitern. Die Realität darunter: eine Hängematte.
Verantwortung? Nein, danke.
Sich festlegen? Schwierig.
Aber Ansprüche.
Die haben Hochkonjunktur.
Teilen? Selten.
Nehmen? Mit Handkuss.
Und immer mit dem Gefühl, dabei zu kurz gekommen zu sein.
Sie haben ihre Meinungen. Glauben sie. Doch wenn man genauer hinhört, sind es oft Meinungsbürgschaften, übernommen aus zweiter Hand. Von Lieblingsfiguren, Meinungsführerinnen, Netzweisen. Schnell umetikettiert zur eigenen Haltung. Wie ein Mantel vom Flohmarkt: fremd, getragen, jetzt angeblich individuell.
Was übrig bleibt, ist meist ein Zuckergussgespräch. Süßlich, aber ohne Substanz. Keine Kante. Kein innerer Halt. Ein Echo von irgendwoher. Geprägt von einer Egoakrobatik, die ihresgleichen sucht.
Ist das dumm, fragte ich mich?
Also dachte ich nach.
Über die Dummheit.
Über die Klugheit auch,
aber das Wort ist seltener im Umlauf.
Klugheit hat keinen Glanz mehr.
Dummheit hingegen läuft wie Influencer-Werbung: leicht bekömmlich, bunt verpackt, überall verfügbar.
Ein einziger Klick, und sie ist da.
Klugheit dagegen braucht Raum.
Und Stille.
Und ein paar Jahre.
Und meistens Tee.
Aber was ist das überhaupt: Dummheit?
Man könnte sagen: Dummheit ist das, was man beim anderen erkennt und bei sich selbst nicht einmal erahnt. Oder: Dummheit ist ein Mangel an Neugier. Eine gewisse Trägheit des Geistes. Man hat genug gehört, glaubt man. Was danach noch kommt, ist bestenfalls Hintergrundrauschen.
Doch diese Annahme wäre dann doch zu einfach, glaube ich. Die Dummheit von heute hat nämlich neue Kleider. Sie tritt im Business-Anzug auf. Mit gebleachten Zähnen und einem Slogan auf den Lippen. Sie klingt wie ein Werbetext und riecht nach billigem Parfüm.
Sie hält sich für informiert, weil sie googelt.
Sie hält sich für moralisch, weil sie liked.
Und sie hält sich für empathisch, weil sie hin und wieder das Wort „Achtsamkeit“ verwendet.
Dabei ist Dummheit nichts, was an mangelnder Bildung hängt. Das wusste Bonhoeffer schon. Dummheit ist nicht dasselbe wie Unwissenheit. Dummheit ist eher ein Zustand der inneren Schließung. Eine Abdichtung gegen den Zweifel. Gegen den Zweifel an sich selbst, vor allem. Dummheit will Recht haben. Nicht dazulernen.
Ich sehe das in letzter Zeit wirklich häufig. Überall. Für die Dummen ist die Welt wahrscheinlich nur Statisterie. Untermalung für das eigene Solo. Und wehe, jemand spielt nicht mit. Dann wird die Szene abgebrochen, man dreht sich beleidigt weg. Sagt: „Das ist toxisch hier.“ Oder schlimmer noch: „Ich fühle mich gedemütigt. Triggere mich nicht. Ich will sorgenfrei leben!“
Sorgenfrei. Ein seltsames Wort, wenn man es genau betrachtet. Es klingt nach Wohlgefühl und Vogelgezwitscher, nach Liegestuhlgedanken und barfuß im Gras. Doch in Wahrheit ist es selten dort zu finden, wo Klarheit wohnt. Die Dummen, man verzeihe mir diese Schärfe, leben oft sorgenfrei. Sie wanken durch die Tage wie durch ein endloses Schlaraffenland aus Meinung und Mitnahme. Die Klugen dagegen tragen die Sorgen wie stilles Gepäck.
Sie sind nicht sichtbar.
Aber spürbar.
Sie spüren das Ungesagte.
Das Ungerechte.
Sie geben nach.
Und zahlen den Preis.
Denn in dieser Welt sind es nicht die Lauten, die wanken.
Es sind die Leisen, die zittern.
Auch ist Geben schwierig geworden, in diesen Zeiten. Das ist etwas für Schwächere. Für Leute, die sich nicht durchsetzen können. Oder für Menschen über fünfzig, die noch gelernt haben, dass man einen Kuchen nicht nur backt, um ihn auf Instagram zu zeigen. Sondern um ihn zu teilen. Ohne zu zählen.
Nehmen hingegen, das ist leicht.
Das ist ein Lebensprinzip.
Ein Recht.
Oder wie ein junger Mensch neulich sagte: „Ich gönn es mir.“
Und meinte damit nicht eine warme Suppe oder ein Glas Wein.
Sondern einen neuen Menschen. Für einen Monat oder zwei.
Den er spätestens dann wieder zurückgibt in den Warenkorb des Lebens.
Was ist das für ein seltsamer Hochmut?
Ist das dumm?
Ich denke: Ja.
Nicht im Sinne von „zu wenig Wissen“,
sondern im Sinne von „zu wenig gefühlt“.
Zu wenig Selbstprüfung.
Zu wenig Bereitschaft, sich auch einmal lächerlich zu machen.
Oder wenigstens unbequem zu sein.
Klugheit riskiert etwas.
Dummheit vermeidet.
Der Klügere gibt nach, sagt man.
Was für ein romantischer Unsinn.
Der Klügere schweigt.
Aus Erschöpfung.
Aus Gewohnheit.
Aus Stil.
Und irgendwann ist er nicht mehr da.
Nur noch ein leiser Abdruck auf dem Sofa.
Ein leerer Stuhl in der Runde.
Das will ich nicht wirklich.
Will auch nicht grau werden. Nicht beige.
Ich weigere mich, unsichtbar zu werden.
Auch wenn das die Empfehlung vieler Ratgeber ist.
Rückzug als Selbstschutz.
Als Selbstoptimierung.
„Schütze deine Energie“, sagen sie dann.
Und ich frage mich, ob es nicht klüger wäre, sich stattdessen für etwas zu verausgaben, das größer ist als das eigene Wohlbefinden.
Würde ich unsichtbar, blieben die anderen übrig.
Die Lauten. Die Klaren. Die Immer-im-Recht-Seienden.
Sie übernehmen das Ruder.
Und man fragt sich, ob man selbst falsch abgebogen oder ob der Kompass aller anderen defekt ist.
Ich will nicht verdunsten.
Ich will nicht in Gesprächen sitzen und nur nicken.
Ich will keine Empörungsfitness betreiben und keine Selbstbeweihräucherungsnebel versprühen.
Ich will denken.
Viel.
Tief.
Und trotzdem mit einem Lächeln.
Natürlich bin ich gelegentlich zu direkt.
Manchmal trifft die Ehrlichkeit auf den falschen Moment.
Das Dessert ist noch nicht gegessen, da komme ich mit einem Satz, der zwischen den Tortenböden stecken bleibt.
Aber ich halte es nicht aus, wenn alles glattgeschliffen wird.
Wenn jede Meinung weichgespült daherkommt.
Wenn es wichtiger ist, nett zu wirken als echt zu sein.
Dummheit, in ihrer modernen Form, ist der Wunsch, nicht gestört zu werden.
Nicht von Fakten.
Nicht von Gedanken.
Nicht von sich selbst.
Und Klugheit?
Die ist kein Dekor.
Kein Zertifikat.
Sie wächst im Stillen.
Zwischen Selbstzweifel und Klarblick.
Zwischen Loslassen und Dranbleiben.
Sie ist das, was bleibt.