Atelier-Gripp

Das digitale Wandeln, das Vergessen, die Poesie der Pixel und einen Schubladenkopf voller Gedankenkinder.

Es war einmal ein Mann, der sich eine Website baute. Keine gewöhnliche, versteht sich, sondern eine Art elektronische Wand aus Licht, auf die er seine Welt warf. Ein leiser Zuruf: „Hier bin ich.“ Ein digitales Atelier, ein Schaukasten aus Pixeln und Kreativität. Der Mann, nennen wir ihn, der Wahrheit halber, einfach Ich, das ist ein Wesen mit über sechzig Jahren gesammelter Zeit, einem Herz, das manchmal flüstert, manchmal posaunt, und einer wachsenden Leidenschaft für das Vergängliche.

Es gab eine Zeit, da wollte ich mit meiner Website beeindrucken. Das ist lange her. Damals dachte ich, man müsse „sichtbar“ sein. 

Möglichst laut. 
Möglichst gut. 
Möglichst präsent. 

Ein Trugbild. Denn wer zu laut schreit, hört die eigene Stimme irgendwann nicht mehr. Und wer ständig sichtbar sein will, wird unsichtbar in der Menge der anderen, die es ebenso versuchen. Heute gleicht meine Website eher einem kaum erkennbaren Waldpfad. Sparsam ausgeschildert. Kein QR-Code am Anfang, kein Ziel am Ende. 

Ein Trampelpfad durch mein Denken, mein Tun, mein Suchen. 

Zwischen den Zeilen wachsen Moose, gelegentlich blüht ein Gedanke auf wie eine Waldhyazinthe. Unscheinbar zunächst. Es raschelt in den Bildern. Es duftet in den Texten. Und man tut gut daran, langsam zu gehen. Wesentliches ist schwer zu erkennen. Aber: Es kann aufleuchten.


Pixelpoesie

Ich schupse gern Pixel. Das klingt ungehobelt, ist aber Feinarbeit. Ich rücke sie zurecht, als wären sie kleine Farbtöpfe auf einer unsichtbaren Staffelei. Statt Pinsel nutze ich eine Tastatur. Statt Leinwand ein CMS-System. Ein weites Feld voller Möglichkeiten, das sich jederzeit verwandeln kann: in ein Gedicht, eine Geschichte, ein Lächeln, eine Blamage.

Manchmal wirft das Licht meiner Gedanken lange Schatten. Dann erscheinen mir meine Worte zu schwer, zu verkopft, zu langatmig. Ich kürze dann. Ohne Reue. Schneide mit der Rücktaste in meine Wortgebilde wie ein Bildhauer ins Holz. Und übrig bleibt ein kastrierter Satz. Ein Wort. Ein Kichern vielleicht. Und dann? Versteh ich’s selbst nicht mehr. Weil zu viel fehlt. Weil das, was einst warm war, plötzlich nur noch merkwürdig klingt. Also lösche ich alles. Ohne Pathos. Als hätte es den Versuch nie gegeben. Und dann, in einer Serverfarm nahe Irgendwo, zerfallen meine Gedanken zu Datenstaub.


Gedankenkinder

Ich nenne die Texte Gedankenkinder. Kleine Wesen, die unbedingt geboren werden wollen. Ich muss nur aufpassen. Sie kommen plötzlich, stehen in der Tür meines Bewusstseins, schauen mich an wie streunende Katzen und ich, ich bin zu weich, um sie hinauszujagen. 
Also schreibe ich sie auf. 
Schnell. 
Bevor sie sich wieder verziehen.
Denn Gedankenkinder sind scheu. Was eben noch wie eine Offenbarung wirkt, ist Sekunden später nur noch ein Schatten. 
Ein Dunst in der Erinnerung. Ich muss sie retten. 
Auf Papier oder Bildschirm, sonst verlieren sie sich im Alltagsnebel.

Doch wie das mit Kindern so ist: Sie entwickeln sich weiter. Entfernen sich. Und wenn ich später zurückkehre, erkenne ich sie oft nicht mehr. 
Ich lache, wenn ich alte Texte lese. 
Nicht selten schäme ich mich auch. 
Ich lösche also wieder und wieder. 
Ganz selten, da schau ich sie an, lächle und sage: Du darfst bleiben.


Der Schubladenkopf

Mein Kopf ist wie ein Dachboden ohne Treppe. Er ist voller Regale, Schachteln, loser Zettel, halbvergessener Melodien und Satzfetzen. Ich habe nie Ordnung gehalten dort oben. Warum auch? Das Chaos hatte immer eine gewisse Logik. Eine poetische sogar. Da gibt es Geschichten, die noch keinen Anfang gefunden haben. Wörter, die sich in Ecken verstecken wie Mäuse. Ideen, die auf bessere Zeiten warten. Und Sätze, die sich selbst vergessen haben. Manche kriechen nachts an mein Ohr und flüstern: 

Schreib mich auf. Jetzt!

Und ich gehorche.

Hin und wieder.


Der digitale Besucher

Von Zeit zu Zeit wandere ich durch meine Website. So, wie andere durch ihren Garten gehen. Nicht auf der Suche nach etwas Bestimmtem. Eher, um zu schauen, wie es den Dingen geht. Den alten Seiten. Den neuen Bildern. Den Gedankenkindern, die ich einst gepflanzt habe. Manche sind gewachsen, andere nicht. 

Ich surfe nicht. 
Ich spaziere. 

Klicke mich durch selbst geschaffene Seiten, als blättere ich in einem Album, das mir nicht mehr ganz gehört. So werde ich zum Besucher meiner selbst. Stehe staunend vor den Spuren, die ich hinterlassen habe. Mit einem Lächeln, oder leiser Skepsis. Bis hin zur völligen Ablehnung. Aber das ist selten. 
Fast immer erkenne ich den Sinn wieder und ein Zögern. Dann weiß ich: Dieses Zögern, dass ist der kleine hilflose Bruder der Stille. Unsicherheit klingt durch die Zeilen. Und das ist es auch. Doch ich habe sie liebgewonnen, diese Unsicherheit. Sie schützt mich vor dem Hochmut des Besserwissens. Und erinnert mich daran, dass der Weg, auf dem ich kreativ bin, kein gerader ist.


Die Bühne der Eitelkeiten

Das Internet, dieses glitzernde Ungeheuer, ist ein seltsamer Ort. Es ist Bühne und Mülleimer zugleich. Jeder schreit hinein, aber kaum jemand hört zu. Ich schreie nicht. Ich flüstere. Und vielleicht ist es gerade das, was zählt. Ich mag es, dass meine Gedanken dort Platz finden, wo ich sie jederzeit wiederfinden kann. So bleiben sie in der Gegenwart, und so kann ich auch in den nächsten Tag gehen, ohne das Gedachte von gestern zu verlieren. Sie verstauben nicht in einer Schublade, sondern dürfen tanzen im Licht der Welt. Auch wenn niemand zuschaut.

Ich stelle mich aus, meine Worte, meine Bilder, meine Keramiken. Nicht, um zu prahlen. Sondern weil ich teilen will, was ich sehe. Was ich mache. Und was mich berührt. Ich stelle es ins Netz, wie man früher eine Laterne ins Fenster stellte. Als Zeichen: Hier wohnt noch jemand.


Bescheidenheit – eine Zier?

Natürlich frage ich mich manchmal, ob es nicht alles ein bisschen eitel ist. Ein digitales Selbstporträt. Eine Galerie der Selbstinszenierung. Aber dann denke ich mir: 

So what?

Und versuche, bescheiden zu wirken. 
Zumindest vordergründig. 
Die Bescheidenheit ist mein Tarnumhang. 
Mein Trick, um nicht als Angeber dazustehen. 
Dabei weiß ich genau, wie stolz ich manchmal bin. 
Auf einen guten Satz. 
Ein stimmiges Bild. 
Eine gelungene Keramik.

Und ist das schlimm? Ich finde nicht. Denn Stolz ist nicht gleich Hochmut. Stolz ist auch: Freude. Dankbarkeit. Ein stilles Lächeln über das, was entstehen durfte.


Kindliche Rückkehr

Jetzt, da ich älter werde, wird vieles einfacher. Ich schreibe, wie mir der Schnabel gewachsen ist. Ich plappere, wie ein Kind beim Spielen. Ich verliere die Angst vor dem Urteil. Und finde das Spiel des Lebens wieder. Ich tippe Sätze, die ich früher verworfen hätte. Ich lasse Leerstellen. Ich nehme mir das Recht zu stammeln, zu träumen, zu irren. Und siehe da: Die Sätze atmen. Sie leben. 
Die Website ist mein Spielplatz geworden. Ein Ort, an dem ich mit Bildern und Worten Burgen baue. Oder sie wieder einreiße. 


Und das große Nichts

Natürlich bleibt am Ende die Frage: Wozu das alles? Warum diese Mühe? Für wen? Und wieso überhaupt? 
Ich weiß es nicht. Und das ist das Schöne. Ich muss es nicht wissen. Es genügt, dass es passiert. Dass ich schreiben darf. Dass ich Spuren hinterlasse, auch wenn sie vom nächsten Algorithmus verweht werden.

Ich liebe die Flüchtigkeit. 
Sie macht das Ganze kostbar. 
Nichts bleibt. 
Alles wandelt sich. 
Und doch ist da ein kleiner Moment der Dauer. 
Ein Gedanke, der gefunden werden kann. 
Ein Satz, der hängen bleibt. 
Vielleicht.