Jenseits aller Pläne

Torsten Gripp | Becher | 2025
Jenseits aller Pläne

Seit ein paar Monaten schreibe ich hier meine Gedanken auf. Es ist kein Tagebuch, sondern eher ein Gedankenbuch. Ich plaudere munter über dies und das. Und über das Hineinspringen ins Leben. Ich schreibe über Reisen und Keramiken, über Malerei und Fotografie. Und, natürlich, philosophiere ich – mit dem Pathos eines Hobby-Sokrates – über das Leben an sich.

Mein geheimes Motto?

Erst schreiben, dann denken.

Klingt riskant, ich weiß. Aber, wie soll ich sonst herausfinden, was in meinem Kopf los ist? Und wenn es nicht gleich Sinn ergibt, vertraue ich einfach auf die Korrektur am nächsten Tag. Denn, wie die Kölner sagen: „Et hat noch immer jot jejange.“

Dieses Vertrauen macht vieles leichter. Auch das Leben an und für sich und ganz besonders, das Formen von Bechern, Schalen und Vasen. Da stehe ich in meiner Werkstatt, knietief im Ton – na gut, noch nicht einmal knöcheltief – und forme. Ich beobachte das Ergebnis während des Trocknungsprozesses, überlege, welche Glasur das Werkstück verdient hat, und packe mein neues Werk schließlich in den Brennofen. Es ist ein Prozess, der sich insgesamt über viele Wochen erstreckt. Verbunden mit Warten, Hoffen und gelegentlichem Fluchen (vor allem, wenn der Ofen die Glasur anders interpretiert als ich).

Am Ende: ein formidabler Becher. Oder ein missglückter Versuch, der aussieht wie ein sehr trauriger Schlauch. Egal. Alles gehört dazu. Einige dieser Werke wohnen jetzt bei mir in der Küche, andere im Wohnzimmer. Ausgewählte Stücke haben nun auch einen anderen Besitzer. Die weniger Glücklichen? Die sind in einer Kiste im Keller und führen ein stilles Dasein.

Ich bin mal gespannt, was ich als nächstes schreibe.

Torsten Gripp | Grüne Becher | 2025

Grün ist die Hoffnung

Grün ist die Hoffnung

Hoffnungsbecher.

Grün ist die Hoffnung. So sagt man, und dieses „Man“ ist viel älter, als wir vielleicht denken. Farben sind Symbole – tief verwurzelt in Kulturen, Ritualen und Mythen. Warum ausgerechnet grün die Hoffnung ist? Vielleicht, weil es die Farbe des Lebens ist, des Keimens und Wachsens. Oder weil es die Farbe ist, die das Auge am besten wahrnimmt. Ein Trick der Natur, um uns zu zeigen: Hier ist Leben, hier ist Zukunft.

In vielen Kulturen war grün mit Magie und Heilkraft verbunden. In alten Schriften galt es als Farbe der Götter und Geister, die den Menschen wohlgesonnen sind. Grün ist auch die Farbe der Balance. Sie liegt zwischen warm und kalt, zwischen Himmel und Erde. In diesem Gleichgewicht liegt vielleicht ihre Kraft, uns an unsere eigene Mitte zu erinnern. Hoffnung ist kein großer Knall, kein Feuerwerk. Sie ist ein Funke, der leise glüht und uns weitermachen lässt.
Und ja, Hoffnung auf eine Welt, in der die Menschen einander die Hände reichen, nicht die Waffen. Eine Welt, in der das Brot duftet und die Tische voller Gespräche sind. Es mag naiv klingen, doch vielleicht ist Naivität nur ein anderes Wort für Mut, zu hoffen, wenn niemand sonst es wagt.

Ich trinke heute einen Schluck grünen Tee aus einem grünen Becher. Geformt aus dunklem Ton. Die ungleichmäßigen Wände fühlen sich an wie ein kleines Stück Erde in meinen Händen. Erde und Grün. Das gehört zusammen.
Während ich meinen Tee trinke, denke ich an all jene, die Farben vergessen haben. Die Weltlenker, die in schwarz-weißen Kategorien denken, in Kontrolle und Macht. Ihnen wünsche ich einen Moment des Stillstands, ein kurzes Innehalten. Vielleicht würde ein grüner Becher in ihren Händen sie daran erinnern, dass die Welt mehr ist als Konflikt – dass sie Hoffnung sein kann.

Grün ist die Hoffnung.

Und heute trinke ich sie in kleinen Schlucken, aus einem Becher, der mich an die Magie des Einfachen erinnert.

Die Kunst des Scheiterns.

Die Kunst des Scheiterns

Die Kunst des Scheiterns mit Stil

Und dann passiert es: Ein Riss. Mitten durch das Werkstück. Immer trifft es genau die Schale, die ich besonders mochte. Die perfekte Kurve, die sanfte Linie – alles dahin. Wahrscheinlich habe ich irgendwo einen Fehler gemacht. Aber wo? Vielleicht beim Ton, vielleicht beim Brennen, vielleicht bei meiner übertriebenen Selbstsicherheit. Genau werde ich es nie wissen. Leider.

Doch jetzt kommt der magische Moment: der Moment, in dem die Abfall-Tonne schreit „Hierher!“, und ich antworte: „Nicht so schnell!“ Denn was kaputt ist, muss nicht weniger wertvoll sein – manchmal wird es sogar mehr.

Hier kommt der Golddraht ins Spiel. Kintsugi, diese wunderbar tröstliche japanische Kunst, die Risse mit Gold hervorhebt, statt sie zu verstecken. Plötzlich wird der Bruch zur Zierde, der Makel zur Signatur. Meine Schale kann zwar keine Flüssigkeiten mehr halten – ein bisschen unpraktisch für eine Teeschale, zugegeben – aber es gibt ja Gummibärchen.

Man sagt, Kintsugi sei eine Philosophie der Heilung, ein Fest des Unvollkommenen. Ich sage: Es ist auch eine Form des Pragmatismus. Denn was wäre die Alternative? Perfektion ist langweilig, Unvollkommenheit ist ehrlich. Und Gummibärchen schmecken sowieso besser, wenn sie aus einer Schale kommen, die ein bisschen von der Welt gesehen hat.

Drei Vasen

Torsten Gripp | Vasen | 2025
Drei Vasen

Drei kleine Vasen.
Drei Blumen aus Filz.
Sechs Farben, viele Zwischentöne.

Ich sehe mehr.
Mehr, als der erste Blick verrät.
Mehr als Keramik?
Oder nur drei Vasen,
Filzkugeln an zarten Stengeln,
von Draht gehalten?

Egal?
Nein.

Die Zwischentöne –
sie halten die Welt zusammen.
Sie tragen mich,
lassen mich fliegen,
hier,
jetzt,
mitten im Wohnzimmer,
bis an die Ränder der Zeit.

2025


Das Jahr der Becher.

Becher, Becher, Sturzbecher

Mit der Trichterform habe ich momentan „meine Form“ für Trinkgefäße gefunden. Ich favorisiere sie, weil sie dem Deutschen Sturzbecher so ähnlich ist.
Die Geschichte der Trichtergefäße – insbesondere des Sturzglases – ist eng verknüpft mit der Entstehung und Entwicklung der deutschen Trinkgewohnten im späten Mittelalter und der frühen Neuzeit. Der Begriff Sturzglas stammt ursprünglich aus der Glasmachertradition und bezeichnete ein Gefäß, dessen Form eine trichterförmige, nach unten schmaler werdende Öffnung hatte. Diese Form war besonders geeignet, die Flüssigkeit in einem kontinuierlichen Strom zu präsentieren und zu konsumieren. Die Sturzgläser wurden sehr selten im alltäglichen Gebrauch verwendet. Im Unterschied zum normalen Trinkgefäß hatten sie nämlich keinen Fuß und waren daher ziemlich unpraktisch. Ihr Inhalt musste aus diesem Grund mit einem großen Schluck – hinuntergestürzt – und das Glas danach auf den Tisch gelegt oder mit der Öffnung nach unten abgelegt werden.
Traditionell wurde durch die Benutzung eines Sturzglases nicht nur das gemeinsame Mahl aufgelockert, sondern man konnte auf wenig subtile Weise einen großen Schluck nehmen und ein Vivat aussprechen. Gerade die brandenburgisch-preußische Hofgesellschaft fand großen Gefallen an diesen besonderen Gläsern.

Was meine eigene Arbeit betrifft, so sehe ich meine Trichtergefäße, die ich in der Kurinuki-Technik fertige, als eine moderne Antwort auf diese Tradition – nur mit dem Unterschied, dass meine Gefäße einen Fuß haben und von allein stehen können. Jeder dieser Becher ist in seiner Form so abgestimmt, dass er der spezifischen Funktion des jeweiligen Getränks gerecht wird. Der hohe Becher für Sherry und Wein ist so gestaltet, dass die Form die Aromen im Glas bündelt, während die breitere Becherform für Tee und Kaffee die Wärme länger speichert und das Getränk angenehmer hält. Der kleine Espresso-Becher schließlich ist kompakt und bringt durch die Form die Intensität und den Charakter des Getränks zur Geltung.

Ob und inwiefern farbige Glasuren eine Rolle spielen werden, weiß ich noch nicht so genau. Der Prozess der Glasur ist für mich eine Möglichkeit, die Form zusätzlich zu betonen oder mit neuen Aspekten zu kontrastieren. Doch in dieser Phase meiner Arbeit ist es mir wichtig, dass die Form selbst in ihrer Reinheit und in ihrem Ausdruck klar bleibt. Die Glasur soll das Gefäß begleiten, ihr nützlich sein, nicht überlagern.

Becher statt Teeschalen?

Torsten Gripp | Magische Becher | 2024
Zehn Aspekte Becher herzustellen

Die Herstellung einfacher Gegenstände aus natürlichen Materialien fasziniert mich. Diese Dinge besitzen eine stille, beinahe erhabene Würde, besonders wenn sie absichtlich schlicht und ungeschmückt bleiben. Ein Becher aus Ton, der lediglich dazu dient, Flüssigkeiten zum Mund zu führen, wird zum Sinnbild dieser Idee.

Japanische Teeschalen, die heute hoch verehrt werden, hatten einst einen ähnlichen, profanen Ursprung. Die Kizaemon-Schale, die im 15. Jahrhundert in Korea als einfache Reisschale entstand, ist ein Beispiel dafür. Ihr Wert und ihre Bedeutung entwickelten sich erst im Laufe der Zeit durch die Reflexion und Wertschätzung einflussreicher Menschen. Heute steht sie, eingebettet in Seidentücher und Holzboxen, im Kohô-an Subtempel des Daitokuji in Kyôtô. Ihr Schöpfer, der sie vor Jahrhunderten eher nachlässig auf der Drehscheibe formte, hätte sich diesen Wandel wohl kaum vorstellen können.

In Anlehnung an die Kizaemon-Schale fertige ich schlichte Trinkbecher. Allerdings ohne Drehscheibe, aber mit einfacher Glasur. Sie sind manchmal etwas schief oder unregelmäßig, doch ich schätze sie in dem Moment, in dem sie unter meinen Händen Form annehmen. Asiatische Werte wie Wabi-Sabi und Zen beeinflussen meine Arbeit, aber ich interpretiere sie auf meine Weise: „Wabi“ als Beschränkung auf das Wesentliche und „Sabi“ als die Spuren des Lebens, die Alterung und die Poesie der Existenz.

Zu Beginn eines jeden Gefäßes steht die Frage nach der Form. Ich leite sie aus dem Verhältnis von Höhe und Breite ab und berücksichtige, dass der Becher Flüssigkeiten zum Mund führen soll. Der Raum – das Nichts – der genau dafür entsteht, ist das Zentrum, um den herum der Becher geformt wird. Dabei erlaube ich mir den Luxus, die Proportionen von Gefäß zu Gefäß zu variieren. Je nach Laune und göttlicher Fügung entsteht so jedes Mal ein einzigartiges Stück. Dieses Spiel mit den Formen und die Freude an der Arbeit mit Ton sind für mich Ausdruck einer tiefen Verbundenheit mit Materie und Tradition.

Magische Becher

Die Verwandlung von Wasser in Wein

Im Mittelalter dienten bei den einfachen Leuten fast ausschließlich Keramikbecher als Gefäße. Sie waren dabei mehr als nur Werkzeuge, um Flüssigkeiten aufzunehmen. Sie waren stille Hintergrund-Zeugen des täglichen Lebens, und ganz besonders der Rituale und Zeremonien, die eine Gemeinschaft zusammenhielten. Heutzutage sind sie ein wenig in Vergessenheit geraten. Vielleicht weil sie zu rustikal sind, oder es bessere Materialien gibt, ich weiß es nicht wirklich. Ich liebe Becher aus Ton und darum stelle ich sie immer und immer wieder her.

Diese Gefäße, noch im unfertigen Zustand, ohne glättende Glasur, am heiligen Abend entstanden, üben für mich eine besondere Faszination aus. Jede Linie, jede Form offenbart mir in aller Offenheit ihre Seele. Es ist, als würden sie mit mir sprechen, mich auffordern, sie dem Brennofen zu übergeben, damit sie ihre endgültige Gestalt enthüllen und endlich ihrer Bestimmung folgen zu können: Tee, Wein oder Wasser aufzunehmen und…. vielleicht zu verwandeln. Ein Becher, der Wasser in Wein und Wein in Blut verwandeln könnte, ist eine kraftvolle Metapher für die tiefe Verbindung zwischen Mensch und Objekt, für die Möglichkeit des Wandels und der Transzendenz. Er steht für meine tiefe Sehnsucht nach Magie und Bedeutung im Alltag.
Vielleicht ist es gar nicht der physische Akt der Verwandlung, den ich mir dabei vorstelle, sondern die Art und Weise, wie diese Becher unsere Wahrnehmung und unser Erleben des Moments des Trinkens verändern. Ein Schluck Tee aus einem solchen Becher kann uns in eine andere Zeit und an einen anderen Ort versetzen, wo die Grenzen zwischen Realität und Imagination verschwimmen. Sie sind mein Beitrag und Aufruf zu einer ganz besonderen Achtsamkeit, die unser Leben bereichern und uns die Möglichkeit zur inneren Verwandlung bieten könnte.