Historie

In einem Museum für asiatische Kunst entdeckte ich eine alte japanische Teeschale. Krumm. Dunkler Ton. Gedeckte Farben. Irgendwie unperfekt. Erst auf den zweiten Blick schön. Unzweifelhaft über Jahrhunderte benutzt. Abgenutzt. Und doch an prominenter Stelle in einem Museum präsentiert.
Stoff zum Nachdenken.

Ich?
Eine beliebige Tasse und ein Teebeutel.

Jedenfalls bis zu diesem Zeitpunkt. Es hat mich tief berührt, wie diese alte Gebrauchskeramik dort im Museum präsentiert wurde. In Anlehnung an das Ausstellungsstück wollte ich mir ursprünglich eine antike Teeschale kaufen, aber dann kam der Wunsch in mir hoch, Teeschalen selbst herzustellen. Wie die japanische Familie Raku, die seit Jahrhunderten in Japan Teeschalen töpfern, habe ich mich dann für die Kurinuki-Töpfertechnik und gegen die Symmetrie einer Töpferscheibe entschieden. Der Zufall sollte bei meiner Töpferei eine ebenso große Rolle spielen wie in meiner Malerei/Fotografie.

Informelle Keramik sozusagen.

Nach nunmehr zwei Jahren hat sich meine Herangehensweise an dieses Thema intensiviert. Ich konzentriere mich auf wenige Aspekte bei der Erstellung der Keramiken und arbeite lediglich mit einer einzigen Tonsorte aus dem Westerwald. Auch benutze ich keine Vielzahl von fertigen Glasuren, sondern mische sie selbst. Ich entwickle auf diese Weise Stück für Stück eine erkennbare Handschrift.

Fachliche Unterstützung erfahre ich durch Töpfermeister Paul Günther von der Töpferei Günther in Adendorf. Seine Erfahrung und meine eher ungestüme Herangehensweise an dieses Thema bringen oft ganz erstaunliche Ergebnisse zutage. (Portrait P. Günther als PDF-Download.)

Meine erste Teeschale klingt hell wie eine Glocke, klopft man mit dem Fingernagel dagegen. Stellenweise ist sie mit einer dicken Glasur überzogen, Fingerspuren treten hervor und der gebrannte Ton bricht an vielen Stellen hindurch. Risse und kleine Blasen machen die Außenwand griffig. Beim Betrachten scheint sie lebendig zu werden und es ist mir, als könnte ich an ihrem Rand blauen Himmel und flüchtige Wolken erkennen. Auch finden meine Lippen ganz automatisch die Ausbuchtung an der einen Seite, die das Trinken zu einem sinnlichen Erlebnis werden lässt. Wenn ich sie verwende, würdige ich sie in dem Augenblick, indem ich sie erst mit den Händen und dann mit den Lippen berühre. Die Teeschale ermöglicht es mir auf einzigartige Weise, das Schöne nicht nur zu betrachten, sondern auch zu gebrauchen. Das das Getränk aus dieser speziellen Schale besonders gut schmeckt, liegt quasi auf der Hand.

Lao-Tse, der legendäre chinesische Philosoph und Begründer des Taoismus, ist bekannt für seine Lehren über das Nichts und die Bedeutung des Nicht-Tuns. Das Konzept des Nichts, oder „Wu Wei“ auf Chinesisch, bezieht sich auf das Prinzip des Handelns durch Nicht-Handeln, des Erreichens von Zielen durch Loslassen und der Annahme der natürlichen Ordnung der Dinge. Dieser Ansatz steht im starken Kontrast zu unserer hektischen und leistungsorientierten modernen Welt. Um die Bedeutung des Nichts und des Nicht-Tuns zu verdeutlichen, können wir das Beispiel einer handgeformten Teeschale nehmen. In der traditionellen asiatischen Teekultur spielt die Teeschale nämlich eine wichtige Rolle. Sie symbolisiert nicht nur die Schönheit und Einfachheit des Moments, sondern auch die Philosophie des Taoismus. Die Teeschale wird aus göttlichem Material hergestellt und bleibt dennoch unvollkommen. Sie weist möglicherweise die oben schon erwähnten kleinen Risse, Unebenheiten oder sogar abgeplatzte Stellen auf. Diese Unvollkommenheiten werden jedoch nicht als Fehler angesehen, sondern als Zeichen der Einzigartigkeit und des natürlichen Verlaufs der Dinge. Die Schale akzeptiert ihre Imperfektion und lässt sich von ihr nicht beeinflussen.

Ich bitte Sie:
Stellen sie eine handgeformte, leere Teeschale vor sich auf den Tisch.
In ihrem leeren Zustand hat sie das Potenzial, mit wundervollem Tee gefüllt zu werden, denn erst die Leere des Gefäßes ermöglicht die Manifestation des Tees. Ohne ihre Leere – das Nichts – wäre es unmöglich, daraus zu trinken und ihre Form zu erkennen. Die Schale ist somit nicht nur ein physischer Behälter, sondern auch ein Symbol für das Nichts, das Raum für das Werden und Vergehen bietet. Die schlichte Schönheit der Teeschale erinnert uns daran, dass wahres Glück und Erfüllung im Einfachen und Natürlichen liegen. Die Philosophie des Nichts erinnert uns daran, innezuhalten, loszulassen und den Moment zu genießen. Es geht darum, das Leben zu verlangsamen und sich bewusst zu sein, was in unserer unmittelbaren Umgebung geschieht. Indem wir das Nichts praktizieren, können wir uns von unnötigem Stress und Druck befreien und eine tiefere Verbindung zu uns selbst und unserer Umwelt herstellen.

Füllen Sie die Teeschale mit duftendem Tee.
Sie erinnert uns nun daran, die natürliche Ordnung der Dinge anzunehmen, die Schönheit im Einfachen zu erkennen und den Moment bewusst zu leben. Nach dem ersten Schluck integrieren wir das Konzept von Lao-Tse in unser Leben, können eine tiefere Harmonie und Erfüllung finden, um Raum für Veränderung und Wachstum zu schaffen.



Die nächsten Jahre will ich nun damit verbringen, Trinkgefäße zu formen. Bis dahin erfreue ich mich daran, dass so viele Menschen denken, ich könnte es nicht. Wie es weitergeht erfahren Sie in meinem Blog.