Hoffnungsland

Von Sehnsuchtsorten und Hoffnungsland

Die Corona-Pandemie und der Krieg am östlichen Rand Europas zeigen sehr deutlich, dass Reisen zukünftig komplizierter, kostspieliger und begrenzter sein werden. Aus diesem Grund möchte ich meine Sehnsuchtsorte nicht mehr möglichst schnell und in gerader Linie mit dem Flugzeug erreichen. Lieber will ich in aller Ruhe zu Fuß oder mit dem Auto unterwegs sein und dabei neue Wege und auch jede Menge Umwege finden. Auf diese Weise kann ich jederzeit anhalten, schöne Dinge entdecken und meiner Neugier freien Lauf lassen.

Teufelsmauer bei Weddersleben im Harz

Unbedingt erforderlich:

1. Ein Traum
Mein Traum von Freiheit und Abenteuer ist groß genug, dass ich ihn nicht aus den Augen verliere, aber gleichzeitig klein genug, um am Ende nicht enttäuscht zu werden. Ich erwarte unterwegs keine Wunder, sondern bin mit den kleinen Dingen des Lebens vollauf zufrieden. Das Große im Kleinen finden und dann davon erzählen, dafür begebe ich mich auf Reisen.

2. Ein Fortbewegungsmittel
Ich besitze einen umgebauten VW Caddy TDI. Leider stimmt die Öko-Bilanz nicht hundertprozentig, aber bis die e-Mobilität auch in den weniger entwickelten Landstrichen Europas ausgebaut ist, ist dieser Diesel mit diversen Filtern und Abgasreinigungs-Dingsda für mich die beste Wahl. Der Wagen ist in den nächsten Jahren Fortbewegungsmittel und Hotelzimmer zugleich. Er ist nur mit dem Notwendigsten ausgestattet, aber ich habe mich absichtlich gegen ein vollausgerüstetes Wohnmobil entschieden; so kann ich ganz gezielt Verzicht üben und alte Gewohnheiten abstreifen. Gute Abenteuer sind immer simple Abenteuer. Zuviel Komfort steht – denke ich – dem Glück im Weg und das will ich unbedingt vermeiden.

3. Ein gewisses Maß an Freiheit
„Ohne überzogene Bedürfnisse, funktionell und so einfach wie möglich.“ Nach diesem Motto stelle ich meine Reiseausrüstung zusammen. Meine Kleidung und die wenigen persönlichen Gegenstände habe ich in einer Reisetasche. Finde ich unterwegs ein schönes Hotel oder eine kleine Pension, schnappe ich mir die gepackte Tasche und ziehe dort ein.

Um das Glück zu finden muss man nichts tun, eher etwas lassen.

Der Komfortverzicht auf meinen Reisen ist es, der mir genau diese Zufriedenheit verschafft. Von der Möglichkeit, auch im Auto bequem schlafen zu können, mache ich daher reichlich Gebrauch. Lässt es das Wegenetz zu, dass ich beispielsweise am Meer stehen kann ohne dass sich Mensch und Tier von meiner Anwesenheit gestört fühlen, dann bleibe ich an Ort und Stelle, lasse die Heckklappe nach oben schwingen, mache das Bett, setze mich in einen gemütlichen Segeltuch-Sessel, höre der Natur zu, starre in die Gegend, träume und schreibe an meinem Buch. Das macht mich glücklich, das kann ich genießen. Genau wie die Tasse Tee, für den ich mir auf meinem Camping-Kocher das Wasser heiß gemacht habe. Ich kann es mir aussuchen. Ich habe die Wahl und das ist dann auch meine Interpretation von Freiheit und Glück.

Und, für mich bemerkenswert, je weniger Lebenszeit ich habe, desto mehr Zeit und Aufmerksamkeit verwende ich für den Augenblick.

Und manchmal finde ich Kraftorte. Bleibe dort eine Weile. Träume vor mich hin und … mache nichts.


Kurt Tucholsky

Das Ideal

Ja, das möchste:
Eine Villa im Grünen mit großer Terrasse,
vorn die Ostsee, hinten die Friedrichstraße;
mit schöner Aussicht, ländlich-mondän,
vom Badezimmer ist die Zugspitze zu sehn –
aber abends zum Kino hast dus nicht weit.
Das Ganze schlicht, voller Bescheidenheit:

Neun Zimmer – nein, doch lieber zehn!
Ein Dachgarten, wo die Eichen drauf stehn,
Radio, Zentralheizung, Vakuum,
eine Dienerschaft, gut gezogen und stumm,
eine süße Frau voller Rasse und Verve –
(und eine fürs Wochenend, zur Reserve) –
eine Bibliothek und drumherum
Einsamkeit und Hummelgesumm.

Im Stall: Zwei Ponies, vier Vollbluthengste,
acht Autos, Motorrad – alles lenkste
natürlich selber – das wär ja gelacht!
Und zwischendurch gehst du auf Hochwildjagd.
Ja, und das hab ich ganz vergessen:
Prima Küche – erstes Essen –
alte Weine aus schönem Pokal –
und egalweg bleibst du dünn wie ein Aal.
Und Geld. Und an Schmuck eine richtige Portion.
Und noch ne Million und noch ne Million.
Und Reisen. Und fröhliche Lebensbuntheit.
Und famose Kinder. Und ewige Gesundheit.

Ja, das möchste!
Aber, wie das so ist hienieden:
manchmal scheints so, als sei es beschieden
nur pöapö, das irdische Glück.
Immer fehlt dir irgendein Stück.
Hast du Geld, dann hast du nicht Käten;
hast du die Frau, dann fehln dir Moneten –
hast du die Geisha, dann stört dich der Fächer:
bald fehlt uns der Wein, bald fehlt uns der Becher.

Etwas ist immer.
Tröste dich.
Jedes Glück hat einen kleinen Stich.
Wir möchten so viel: Haben. Sein. Und gelten.
Daß einer alles hat:
das ist selten.

(1927)