Die Teeschale des Lebens | 生活中的茶碗

Kokoro-Kurinuki – Die Kunst der gelebten Spuren.

In einer unscheinbaren Ecke meiner Werkstatt,
wo das Getöse der Welt nicht hinkommt,
steht eine Teeschale.
Kein Schmuckstück.
Kein Blickfang.
Sie steht einfach nur da.
Klein.
Rau.
Unauffällig.

Torsten Gripp | Chawan | das NICHTS | 老子

Wer achtlos an ihr vorübergeht, sieht nichts.
Wer innehält,
spürt ihre Gegenwart.
Sie erzählt.
Von Berührung.
Von Widerstand.
Von Wandlung.
Von der leisen Würde des Werdens.

Gegen das Glatte

Es gibt Menschen, die glauben,
das Leben müsse glatt sein.
Geradlinig.
Ohne Brüche.
Wie aus dem Katalog.
Doch das Leben ist anders.
Schiefer. Eigensinniger.
Und vielleicht wahrer.
Wie diese Schale.

Die Arbeit des Kokoro-Kurinuki
will sich dem Glatten entgegenstellen.
Ohne dabei perfekt zu sein.
Was entsteht, trägt Spuren.
Es sind keine Fehler.
Es sind Zeichen des Weges.

Vom Feuer gezeichnet

Kein Ton wird zur Schale,
ohne das Feuer.
Erst die Hitze macht ihn beständig.
Erst das Risiko macht ihn echt.
So ist es auch mit den Menschen.
Die glatten Tage erzählen wenig.
Erst das, was wehtut,
was wackelt,
was bricht –
formt uns.
Und macht uns ganz.

Menschen wollen gern durchs Leben gleiten.
Leicht.
Schön.
Mühelos.
Aber das Leben sagt:
„Nein.
Du wirst brennen.
Und wachsen.“
So entstehen wir.
Wie der Ton.
Schritt für Schritt.
Brand für Brand.

Die Schönheit des Schiefen

Diese Schale hat keinen rechten Winkel.
Ihr Rand schwankt,
ihre Glasur fließt.
Und doch,
oder gerade deshalb,
ist sie schön.
Wabi-Sabi nennen es die Japaner.
Ich nenne es:
Leben.
Was zählt, ist die Tiefe.
Nicht das Polierte.

Ein letzter Gedanke

Wenn Sie je eine Schale in der Hand halten,
die nicht perfekt ist –
denken Sie nicht an Fehler.

Denken Sie an Geschichten.
An Wind.
An Feuer.
An Mut.

Und vielleicht lächeln Sie.
Weil Sie spüren:
Genau so ist das Leben.
Und genau so ist es richtig.