Hinwendung

Ich gebe mich / den schönen Dingen hin
und spüre: / hier beginnt der Sinn.
Kein Opfer ist’s, / kein eitles Streben,
nur Einverständnis – / stilles Leben.

Hinwendung fragt / nach keinem Ziel
sie folgt / dem lautlos eignen Spiel.
Nur Gegenwart, / nur pures Sein
nur Herz, das atmet / klar und rein.

So reifen Räume / stiller Nähe
wo Zeit sich selbst / ins Schweigen drehe.
Ein Schritt, ein Blick, / ein Atemstück
und alles fällt / in sich zurück.

Manch einer bleibt / im engen Kreis
im trügerischen Glanz / der eignen Weis.
Doch wer sich löst, / wer schweigen kann
der hebt / im Jetzt ein Neues an.

So ahn’ ich tief / den Lebensgrund
im leisen Sinn, / im innern Bund.
Kein Pathos weht, / kein lauter Schein
nur Dasein will / das Leben sein.

Der Seelenraum.

Wenn sich zwei Stimmen in Liebe zurücknehmen,
entsteht ein Klangraum.
Ein Raum, der beide trägt.
Eine große Halle in kleinem Herzen.

Dort wächst ein stilles Glück.
Und aus diesem Glück spinnt sich ein Faden,
der beide Herzen an die Seele bindet.

Die Seele – eine Herzbewohnerin.
Sie thront dort und lenkt das Denken.
Die Gespräche tief im Inneren.
Der Strom, der alles trägt,
das erleben, fühlen, wollen.

Geburt ist ihr erstes Schlagzeichen.
Tod ihr letztes.
Die Seele gibt Sinn und Lebenskraft.
Takt und Pausen.
Sie ist Beginn, Mitte, Vollendung.

Friederike sagt, sie hört sie sprechen.
Wie wir Nachrichten auf einem Gerät empfangen, nur inniger.
Ein stilles Leuchten, ein inneres Klingen.
Sie nennt es: Seelensignale.
Es sagt nicht viel, doch genug.
Geh. Warte. Atme. Vertraue.
Ein Alphabet aus Andeutungen.

Seelenfrieden klingt aus diesem Gewebe.
Ein inneres Einverstanden-Sein, tiefer als Worte.
Ein Wissen:
Ich bin richtig.

Friederike lächelt, wenn sie von diesem Frieden spricht,
weil er nicht von außen fällt, sondern von innen strömt.
Wie eine Laterne, die niemals verlischt.

Die Blauwindbecher.

Stille Gefährten für Tee,
für leise Gespräche,
für den wunderbaren Moment zwischen Tag und Nacht.

Die Eine und die Andere. Die mit dem dicken Bauch und die Krumme.

In der Werkstatt
verschwimmt die Zeit.
Jeder Schritt ist Anfang und Ende zugleich.
Das Werk nur der Schatten dessen, was geschieht.

Kokoro-Kurinuki

Wollhandwerk und Könnkünste.

Ich wollte Leichtigkeit schaffen. Teeschalen und Becher mit dünnen Wänden, hauchzart. Luftig. Stattdessen habe ich wieder Teeschalen, die wie Becher aussehen, geformt. Becher mit Spuren meiner Ungeduld. Manchmal ist allein das Wollen schon ein Kunstwerk. Ein schwieriger Eiertanz mit der eigenen Unfähigkeit. Es braucht einen guten Humor, um nicht zu verzweifeln. Oder zumindest eine Prise Spott für sich selbst.

Denn wollen kann ich gut. Könnte Weltmeister darin sein. Aber wollen und können – das ist ein anderes Spiel. Eines, das mich immer wieder an meine handwerklichen Grenzen führt.
Und so sitze ich da, schaue meine Becher an und denke: Vielleicht ist das eigentliche Kunstwerk gar nicht der Becher selbst. Vielleicht ist es ein Riss. Oder das kleine Scheitern, das mir zeigt, dass auch wollen wollen seine Tücken hat. Realität vs. Gefälligkeit.

Und Friederike steht daneben. Mit einem Lächeln, das sagt: „Gut so. Denn wer nie scheitert, hat nie versucht, es wirklich gut zu machen.“

Shakespeare „Macbeth“:

„Where our desire is got without content, / ’Tis safer to be that which we destroy / Than by destruction dwell in doubtful joy.“

Deutsches Kintsugi

Dieses Gefäß führt einen alten Gedanken in neues Terrain. Kintsugi, die japanische Kunst, Brüche sichtbar zu vergolden, wird hier nicht imitiert, sondern in eine eigene Sprache übersetzt. Statt Gold: rostfarbenes Garn.

Fernöstliche Philosophie trifft europäische Erdigkeit. Bruch und Bindung verschmelzen hier zu einer Form. Das Objekt widersteht der glatten Perfektion und zeigt, dass jedes Weiterleben Spuren trägt – und genau darin seine unverwechselbare Schönheit findet.

Ausschnitt des Unendlichen

Licht fällt über den Tisch.
Ein Stück Farbe, scharf geschnitten aus einem größeren Schweigen.
So beginnt der Tag.

Ich habe ein Bild zerteilt.
Ein Werk, das einmal ganz war.
Jetzt liegen kleine Quadrate auf Büttenpapier.
Jedes für sich eine Welt, obwohl sie nur ein Teil sind.
Die Ränder erzählen vom Verlust, aber auch von Freiheit.
Der Ausschnitt wird zum Atem.

Friederike kommt leise herein.
Ihre Schritte kaum hörbar.
„Du hast es wieder getan“, sagt sie.
Kein Vorwurf.
Nur ein Blick, der spürt, wie sich etwas löst.

„Das Leben“, antworte ich, „ist auch nur ein Ausschnitt.“
Ich halte das kleine Stück hoch, das in der Sonne brennt.
Orange, Rot, Braun.
Eine Landschaft aus getrocknetem Feuer.
„Wir sehen nie das Ganze.
Nur Bruchstücke.
Und doch glauben wir, alles sei vollständig.“

Friederike streicht mit der Fingerspitze über die Kante des Papiers.
„Vielleicht ist es gerade das, was uns wach hält.
Dass wir nie alles besitzen.“
Sie lächelt, als wüsste sie mehr, als sie sagen will.

Ich denke an meine Fotografien.
An die Keramik, die ich aus dem Ton schlage.
Jede Aufnahme, jeder Becher ein Versuch, einen Moment zu fassen.
Aber immer bleibt ein Rand.
Was nicht ins Bild fällt, atmet weiter im Unsichtbaren.
Das Ganze entzieht sich.
Es ist zu weit, zu tief, um benannt zu werden.

Draußen zieht der Wind an den Bäumen.
Ein Blatt löst sich, taumelt ins Offene.
Auch das ist ein Ausschnitt: der Augenblick, in dem ich es sehe.
Alles davor, alles danach, bleibt ungeschrieben.
Wir leben in solchen Splittern.
Denken in Fragmenten.
Selbst die Gedanken sind Scherben eines größeren Denkgefühls.

Friederike lehnt sich an den Rahmen der Tür.
„Und doch“, sagt sie, „entscheidest du, wo du schneidest.“
Ihre Stimme ist sanft, fast ein Flüstern.
„Das ist deine Freiheit.
Du bestimmst den Ausschnitt, nicht das Ganze.
Aber du kannst dem Ganzen trauen.“

Ich nicke.
Es stimmt.
Jeder Schnitt ist Wahl.
Nicht Gewalt, sondern Gnade.
Ich wähle Farbe und Form, wähle den Moment, den das Auge hält.
Das Unendliche bleibt, ungerührt, wie ein stilles Meer hinter dem Horizont.

Ich sehe auf das kleine Bild in meiner Hand.
Die Ränder unregelmäßig, das Licht darauf lebendig.
Kein Bruchstück ohne Zusammenhang.
Auch der kleinste Teil trägt die Spur des Ganzen.
Wie ein Funken, der das Feuer verrät.

Friederike tritt näher.
„Vielleicht“, sagt sie und ihre Augen sind weit,
„ist jeder Mensch so ein Ausschnitt.
Ein Stück aus einem größeren Wesen.
Wir tragen das Ganze in uns, auch wenn wir es nicht sehen.“
Sie legt das Bild auf den Stapel der Postkarten.
„Schick es in die Welt.
Lass andere den Rest erahnen.“

Ich höre den Wind, das ferne Rauschen der Stadt.
Alles fließt, alles bleibt unvollendet.
Und gerade darin liegt die Schönheit.
Kein Bild braucht Vollständigkeit, um zu sprechen.
Kein Leben braucht das Ganze, um wahr zu sein.

Die Sonne rückt weiter.
Ein neuer Schatten fällt auf den Tisch.
Ein weiterer Ausschnitt.
Ich halte den Atem an und lasse ihn gehen.

Vom Gewicht des Lichts.

Ein Tag ohne Vorsatz.
Ich habe alles verworfen, was sich wie Regel anfühlte.
Glasuren verschwenderisch, Schicht über Schicht, bis die Schwerkraft mitschreibt.
Kein Maß, kein Plan.

Von zehn blieben zwei.
Beide tragen etwas Ungefragtes in sich.
Eine stille Glut, ungehorsam und schön.

Sie stehen da wie Wesen, nicht wie Dinge.
Mit Rändern, die Geschichten atmen.
Mit einer Haut, die das Feuer gezeichnet hat.

Kunst müssen alle.

Essen müssen alle.
Das ist so selbstverständlich, dass niemand darüber nachdenkt.

Doch wenn man den Satz verschiebt, öffnet sich eine andere Wahrheit: Kunst müssen alle.
Auch das ist Nahrung.

Schon in der Steinzeit haben Menschen Bilder an Höhlenwände gemalt.
Tiere, Jäger, Hände.
Nicht nur als Dekor, sondern zur Erinnerung, Orientierung, Trost.
In diesen Zeichnungen hielten sie ihre bewegte Zeit fest.
Ein Stein wurde Leinwand, ein Strich zum Halt im Unbekannten.

Daraus spürt man: Kunst war nie Luxus.
Sie war von Anfang an wichtiges Lebensmittel.

Wenn wir essen, nehmen wir etwas auf.
Wir stillen Hunger.
Kunst stillt einen anderen Hunger.
Nicht den des Magens, sondern den der Augen und Gedanken.
Wer ein Bild betrachtet, kostet Farben wie ein Stück Brot.
Man geht nicht satt hinaus, aber man hat sich verändert.

Und darum sollten Sie in unsere Kunstausstellung gehen!
Weil dort Räume warten, die nicht nach Arbeit riechen und nicht nach Alltag.
Sondern nach Möglichkeit.

Ein Bild hängt da.
Ein Rot, das brennt.
Ein Grün, das Leben verspricht.
Man steht davor und weiß nicht warum, aber man bleibt.
Genau in diesem Innehalten geschieht das, was Worte nicht fassen: Berührung.

Farbe berührt.
Sie fragt nicht nach Vorwissen.
Sie verlangt keinen Kommentar.
Sie wirkt wie Feuer an einer kalten Stelle.
Und manchmal reicht ein einziger Strich, um die Erinnerung an eine Wiese, eine Stimme, einen Sommer wachzurufen.

Viele glauben, Museen und Galerien seien schwer zugänglich.
Zu fremd, zu leise, zu abgehoben.
Doch in Wahrheit sind sie Küchen.
Offene Räume, in denen gekocht wird, nur eben mit Bildern, Tönen, Formen.
Der Künstler bereitet zu.
Der Besucher kostet.
Und beide teilen denselben Tisch.

Kunst müssen alle.
Nicht aus Zwang.
Nicht aus Pflicht.
Sondern weil wir sonst verhungern an Bedeutungslosigkeit.

Ein Tag ohne Bild ist wie ein Tag ohne Geschmack.
Man lebt, ja. Aber man lebt flacher.

Ein Ausstellungsbesuch ist kein feierlicher Akt.
Er ist eine Mahlzeit für die Sinne.
Wer sich einmal traut, die Schwelle zu überschreiten, spürt sofort, dass etwas geschieht.
Eine Tür geht auf.
Nicht im Raum, sondern im Innern.

So einfach.
So notwendig.
Wie Essen.

Vielleicht wird Kunst nie so alltäglich wie Brot.
Doch sie trägt denselben Kern:
Sie nährt.
Sie verbindet.
Sie erinnert uns daran, dass wir Menschen sind.
Seit der Höhle, seit dem ersten Strich im Stein.

Und deshalb gilt der Satz.
Kunst müssen alle.

„Farbe kann mehr aufblühen lassen als Worte, weil sie dort berührt, wo der Hunger nach Leben zuhause ist.“

Wenn Verpackung Teil der Kunst wird.

Eine Teeschale im Kurinuki-Stil ist mehr als ein Trinkbecher. Gerade deshalb braucht es eine Hülle, die nicht bloß schützt, sondern dem Gefäß eine würdige Bühne gibt.

Die Schachteln sind Teil dieses Dialogs. Sie bestehen aus Holz und Stoff, klar gefügt, doch mit feiner Zurückhaltung. Keine grelle Zier, kein überflüssiges Ornament. Stattdessen ein leiser Ernst. Ein Verschluss aus Leder, schlicht und warm, deutet an: Hier beginnt etwas, das mehr ist als bloßes Objekt.

Beim Öffnen offenbart sich eine zweite Ebene. Unter dem Deckel liegt ein Farbraum aus Papier und Pigment, fast wie ein geheimer Garten. Darin ruht das Zeichen, das den Kreis schließt: ein Ensõ. Mit einer einzigen Bewegung gesetzt, nichts zu viel, nichts zu wenig. Ein Atemzug, eingefangen auf edlem Bütten. Er ist kein Schmuck, sondern eine Bekräftigung; so wie die alten Handwerker einst ihr „in hoc fecit“ (Es ist vollbracht.) hinterließen, als stilles Zeugnis des Tuns.

So verbindet sich Gefäß und Schachtel. Außen die Ruhe der Form, innen der Kreis als Atemzug. Die Verpackung rahmt den Moment des Öffnens und lässt spüren, dass Wert nicht allein im Gegenstand liegt, sondern in der Aufmerksamkeit, mit der er erlebt wird.