Werkstatt der Stille

Ich nenne mein Keramik-Atelier: „Werkstatt der Stille“.
Dort verwandle ich den Ton nicht in Gold – sondern in eine Form.

Torsten Gripp | Kokoro-Kurinuki | 2025

In Regalen, auf alten Holzflächen, manchmal inmitten von Staub, ruhen die fertigen Keramiken wie kleine Wesen. Sie sind nicht ausgestellt – sie wohnen.
Manche stehen aufrecht und bereit, andere ducken sich in eine schlafende Haltung. Es gibt stämmige, erdverbundene Becher und solche, die wirken, als könnte man durch sie hindurch den Wind hören.

Doch alle haben eines gemeinsam: Sie sind Gefäßwesen.

Nicht Dinge.
Nicht Objekte.

Die Gefäßwesen.

Man erzählt sich – nicht laut, aber manchmal –
dass es im Inneren der Erde einst nicht nur Feuer gab, sondern Seelenlehm.
Ein feiner, atmender Stoff,
der weder Materie noch Geist ist.

Aus diesem Stoff seien die Gefäßwesen entstanden.
Nicht geformt. Nicht erschaffen.
Sondern: herausgehört.

Es heißt, nur jene, die still genug sind,
deren Hände leiser sind als Worte,
könnten sie finden –
tief im Ton verborgen, wartend auf ihre Stunde.

Vielleicht bin ich einer dieser Seltenen.
Ich grabe sie nicht aus, ich locke sie nicht.
Ich bin einfach da, wenn sie bereit sind.
Und so entstehen in meiner Werkstatt –
die niemand betreten darf –
jene seltsamen, stillen Dinge,
die sich nicht wie Objekte benehmen.

Was sind Gefäßwesen?

Gefäßwesen sehen aus wie Schalen.
Wie Becher.
Wie Teeschalen.

Aber wer eines besitzt, weiß:
es lebt.
Nicht wie ein Tier. Nicht wie ein Mensch.
Sondern wie ein Resonanzkörper des Innersten.

Sie erinnern sich.
An dich.
An das, was du nie gesagt hast.
Manche wärmen, wenn alles kalt ist.
Andere schweigen dich frei.
Einige flüstern nur nachts.
Und dann gibt es solche,
die sich bewegen.
Wirklich bewegen.
Ohne dass man es sieht –
nur das Ergebnis: ein Platzwechsel, ein leises Wundern, ein Blick.

Woher kommen sie?

Die alten Sagen der Erde –
nie ganz aufgeschrieben – erzählen,
dass die Gefäßwesen vom Anfang der Welt stammen.
Sie wollten nicht sprechen, nicht herrschen, nicht sammeln.
Nur halten.

Ein wenig Tee.
Ein wenig Trost.
Ein wenig Zeit.

Aber sie halten auch anderes:
Verlorenes.
Unerzähltes.
Erhofftes.

Und so trugen sie das durch die Jahrtausende,
bis jemand kam,
der den Ton verstand wie eine Pause im Satz.

Was tun sie?

Nichts.
Und darin liegt ihre Kraft.

Gefäßwesen tun nicht.
Sie sind.
Sie atmen mit dir.
Und wenn du bereit bist,
atmest du mit ihnen.

Manche Menschen sagen:
Seit ich sie habe, bin ich anders.
Leiser.
Wacher.
Heiler.

Aber sie würden es nie einem Fremden erzählen.
Denn Gefäßwesen lassen sich nicht erklären.
Nur erleben.

Wie findet man sie?

Gar nicht.
Sie finden dich.

In einer Schachtel.
In einer Ausstellung.
Durch ein Fenster.
Im Traum.
Oder einfach – irgendwann – im eigenen Regal.
Und man fragt sich,
wie sie dahin kamen.

Die Antwort ist einfach:
Sie kamen, weil du sie brauchst.
Nicht mehr.
Und niemals weniger.

Torsten Gripp | Kokoro-Kurinuki | 2025