Mein heutiges Ziel? Das legendäre Kloster Cluny und die spirituelle Oase Taizé. Es liegt nur einen Steinwurf von meinem Campingplatz entfernt. Bereits bei meiner Ankunft auf diesem Platz fühle ich die mittelalterliche Atmosphäre. Sie ist so greifbar, dass ich beinahe erwarte, Mönche in Kutten um die Ecke biegen zu sehen. Doch anstelle heiliger Gesänge und strenger Gesichter finde ich in der Stadt und im Kloster natürlich Touristen mit Selfie-Sticks und Reiseführer in der Hand – ein bisschen enttäuschend, aber auch irgendwie beruhigend.
Das Kloster Cluny, gegründet um 910, war einst das Zentrum einer mächtigen Reformbewegung, die die Kirche ordentlich durcheinanderwirbelte. Man könnte fast sagen, hier wurde die mittelalterliche Version einer Kirchenrevolution gestartet. Und ich, der ich nicht gerade als Revoluzzer bekannt bin, stehe nun ehrfürchtig vor den imposanten Überresten dieser einst gigantischen Anlage und kann mir das Grinsen nicht verkneifen. Die Mönche von Cluny haben damals den Weg geebnet für eine tiefgreifende spirituelle und organisatorische Erneuerung der Kirche. Sie setzten auf Gebet, Disziplin und – jetzt haltet euch fest – soziale Gerechtigkeit. Anscheinend hatten sie schon damals ein feines Gespür für die Trends von morgen.
Doch genug der Vergangenheit. Mein nächster Stopp ist das kleine Dorf Taizé, nur einen Katzensprung von Cluny entfernt. Hier hat Frére Roger vor Jahrzehnten eine Bruderschaft gegründet, die das spirituelle Erbe von Cluny auf ihre eigene, moderne Weise weiterführt. Als ich das Dorf erreiche, empfängt mich eine friedliche Stille, die nur von sanften Gesängen und dem Lachen junger Menschen unterbrochen wird.
Die Brüder von Taizé leben hier in schlichter Gemeinschaft, ihre Tage sind geprägt von Gebet, Arbeit und Gastfreundschaft. Die Gottesdienste, die ich besuche, sind eine Mischung aus Musik, Stille und Gemeinschaft – und treffen mitten ins Herz. Besonders beeindruckt mich die längere Phase der Stille während des Gebets. Zehn Minuten können unendlich lang erscheinen, aber sie bieten den Raum für persönliche Reflexion und tiefes Gebet. Und ich, der ich sonst eher ein Fan von lauten, schnellen Dingen bin, finde in dieser Stille eine unerwartete Ruhe.
Vor mehr als 40 Jahren war ich das erste Mal hier. Damals wie heute hat dieser Ort nichts von seinem Zauber verloren. Die Brüder vermitteln eine Vorstellung von Liebe, die still und dennoch kraftvoll ist. Meiner Meinung nach ist die Liebe eben nicht laut und aufdringlich, sondern sanft und einladend. Die Brüder sprechen kaum, aber ihre Präsenz sagt mir viel.
Während ich durch die Gärten von Taizé schlendere, fühle ich mich wie in einer anderen Welt. Eine Welt, in der wieder einmal die Zeit keine Rolle spielt und in der die einfachen Dinge des Lebens plötzlich enorm wertvoll erscheinen. Ich verlasse Taizé mit einem Lächeln und einem Gefühl der inneren Ruhe, das mich hoffentlich noch lange begleiten wird.
Ja, das Reisen erweitert den Horizont. Und manchmal bringt es uns an Orte, die nicht nur die Landschaft, sondern auch das Herz verändern. Cluny und Taizé sind solche Orte. Orte, die uns lehren, dass die wahre Revolution in der Stille und der Liebe liegt.