Stille

Stille – Gedanken

Was ist eigentlich Stille, frage ich mich und denke darüber nach, wie viel Gigabyte an Daten ich heute konsumiert habe. Es müssen so um 30 GB sein, denn das ist in etwa der Tagesverbrauch eines vernetzten Mitteleuropäers mit Zugang zum Internet. Das sind so viele Informationen, wie meine Vorfahren im 17. Jahrhundert in ihrem ganzen Leben aufgenommen haben. Kein Wunder, dass ich manchmal verwirrt bin. Kein Wunder, dass ich mich ständig überfordert fühle.

Nur in meiner kleinen Keramik-Werkstatt, bei der Arbeit mit dem Ton, wenn ich mit den Händen arbeite und dabei die Gedanken fließen lasse, umfängt mich eine besondere Form der Stille. Nein, ich habe mein Atelier nicht im „Stillen Örtchen“ eingerichtet. Das liegt in einem anderen Teil meines Hauses. Und die Stille im Atelier ist auch nicht absolut. Es ist ja kein schallisolierter Raum. Doch gerade diese kleine Unvollkommenheit macht die Stille lebendig. Sie wird durch die leisen Stimmen, die durch die Wände hindurch zu hören sind, das sanfte Summen der Heizung und manchmal durch das Zwitschern eines Vogels draußen bereichert. Wenn ich dann auch noch meine Augen schließe und die Welt ausblende, finde ich eine Offenheit und Klarheit in meinem eigenen Geist, die im Alltag oft verloren gehen.

Ein „goldener“ Becher, den ich kürzlich fertiggestellt habe, steht vor mir. Er glänzt nicht nur, sondern symbolisiert für mich eine besondere Form der Stille. In ihm spiegeln sich die ruhigen Stunden wider, die ich mit seiner Herstellung verbracht habe. Jede Berührung des Tons, jedes Geräusch auf der Gipsplatte, war ein Akt des Zuhörens – nicht nur des Materials, sondern auch meiner selbst.
Die Kunst, sich selbst und anderen zuhören zu können, ist in unserer lauten Welt fast schon eine vergessene Fähigkeit. Wie oft sitze ich in einem Raum voller Menschen, und es scheint, als ob die meisten mehr darauf bedacht sind, gehört zu werden, als zuzuhören. Es wirkt wie ein ständiger Wettstreit um Aufmerksamkeit, bei dem sich der Lärmpegel immer mehr in die Höhe schraubt.

Ich habe gelernt, keinen Lärm um mich selbst zu machen. Ich schreibe mittlerweile meine Gedanken lieber auf, als dass ich sie im Gespräch mitteile. Nicht, weil ich den Widerspruch fürchte, nein, im Moment des Schreibens kann ich still sein und einzig die Kraft der Gedanken lassen meine Finger über die Tastatur fliegen. Das Klackern der Tasten erzeugt dann eine wunderbare Melodie und niemand unterbricht mich, um mir seine Genialität zu erläutern.

Mein goldener Becher, der neben dem Bildschirm steht, schreit auch nicht nach Aufmerksamkeit, er glänzt still und zieht dennoch die Blicke auf sich. Er schweigt und doch ist er mehr als nur präsent. Ich erinnere mich an den Moment, als ich in meiner Werkstatt saß und ihn zum ersten Mal betrachtete. In dieser Stille fühlte ich eine tiefe Zufriedenheit, eine Art Frieden, den ich in keiner lauten Unterhaltung je gefunden habe.

Jetzt, in der Adventszeit, der stillen Zeit vor dem Weihnachtsfest und dem Jahreswechsel, denke ich an die Raunächte, die folgen werden. Es ist eine Zeit der Besinnung, der inneren Einkehr. Vielleicht ist es gerade diese Zeit, die uns daran erinnert, wie wichtig es ist, die Stille zu suchen und zu schätzen. In ihr finden wir nicht nur uns selbst, sondern auch eine tiefergehende Verbindung zur Welt um uns herum. So erhebe ich meinen goldenen Becher, gefüllt mit herrlichem Wein, und stoße auf diese wunderbare, fast vergessene Kunst an.

Suche nach Perfektion?

Suche nach Perfektion – Gedanken

Ich liebe authentische Keramik mit kleinen Fehlern, aber gleichzeitig bin ich äußerst kritisch gegenüber meinen Arbeiten und selektiere diese, direkt nach dem ersten Formen, auch schon mal aus – nach meinem Schönheits-Ideal natürlich. Ich zerstöre sie, noch bevor sie im Ofen auf 1200 Grad erhitzt werden und wo sie eigentlich erst ihre endgültige Farbe und Form bekommen.
Hier zeigt sich mir eine nicht zu unterschätzende Spannung zwischen meiner unbedingten Anerkennung des Zufalls, der Unvollständigkeit einerseits und der Kontrolle und dem Streben nach einem fest definierten Ideal andererseits. Es scheint mir, als pendle ich in einem ständigen Wechselspiel zwischen der Akzeptanz des Unperfekten und dem Drang nach einer idealen, vollendeten Form hin und her.


Die paradoxe Kunst des Töpfers

Ich erinnere mich an einen besonders denkwürdigen Tag in meiner Werkstatt. Der Ton war geformt, ich tänzelte vor Begeisterung, und mit der Kamera bannte ich das glückliche Ergebnis auf die Festplatte. Es war ein Moment der stillen Freude. Doch wie oft täuscht die Stille? Denn im Hintergrund lauert stets mein kleiner, kritischer Dämon, der mit den Prinzipien meiner Philosophie sein Schattenspiel betreibt. Während ich im ersten Moment über die unperfekten Gefäße lächle und ihre Schwächen schätze, beginnt alsbald die kritische Inspektion nach Mängeln. Warum nur, frage ich mich, ist es so schwer, das Ideal des Unvollkommenen zu umarmen, während ich zugleich an einer geheimen Perfektion festhalte?

Lao Tse, der alte Weise, könnte über meine innere Zerrissenheit schmunzeln. „Der Weise handelt nicht und dennoch bleibt nichts ungetan“, sagt er. Vielleicht bedeutet das, dass ich einfach loslassen sollte – die Kontrolle abgeben und den Zufall wirklich walten lassen. Doch dann sehe ich das kleine Stück, das nicht meinen Vorstellungen entspricht, und das innere Zögern beginnt. Soll ich es wirklich behalten oder erbarmungslos verwerfen?

Es ist diese Spannung, die den kreativen Prozess lebendig hält. Die ständige Auseinandersetzung mit dem, was ist, und dem, was sein könnte. Es ist wie ein Tanz mit zwei linken Füßen – ungeschickt, oft peinlich, aber auch voller Charme und unvorhersehbarer Momente.

In Wahrheit, so glaube ich, ist es diese Balance zwischen Akzeptanz und Streben, die meine Arbeit mit dem Ton aus dem Westerwald ausmacht. Wabi-Sabi ermutigt mich, Fehler zu akzeptieren, während mein innerer Kritiker mich dazu bringt, stets nach dem Besten zu streben. Vielleicht ist es genau dieser Widerspruch, der den Werken ihren Zauber verleiht. Am Ende des Weges, wenn die Stücke den Ofen verlassen, habe ich hoffentlich den Mut, sowohl ihre Mängel als auch ihre Schönheit zu sehen. Und in diesem Moment der Erkenntnis werde ich wieder lächeln, eine Melodie summen und das Ergebnis festhalten – ein unvollkommenes, perfektes Werk, das vielleicht den Namen Kunst verdient. Und wer weiß? Vielleicht war es genau das, was Lao Tse gemeint hat, als er sagte: „Die höchste Tugend ist wie Wasser. Wasser gibt allem Leben und strebt doch stets nach dem niedrigsten Ort.“ In meiner Kunst des Töpferns liegt die höchste Tugend eben doch nicht in der Perfektion, sondern in der Akzeptanz des Unvollkommenen.

Also, dieses Mal werde ich nicht selektieren. Alle Stücke auf den Fotos dürfen in den Ofen. Mit neuen Kleidern (Glasuren). Versprochen.

Weihnachtsausstellung 2024

Am 30. November fand im Atelier meiner Künstlerkollegin Roswitha Schumacher-Kuckelkorn eine außergewöhnliche Atelierausstellung statt. Ich hatte die Ehre, als Gast mit auszustellen. Gezeigt habe ich einen Querschnitt meiner Keramiken. Besonderes Augenmerk habe ich dabei auf die Präsentation meiner Ristretto-/Espressotassen und Ikebana-Schalen gelegt.
Yvonne Kracht, die Inhaberin von ‚Froschkönig der Blumenladen‘, hat für einige der Schalen wunderbare Blumenarrangements gefertigt und so schillerten nicht nur die Malereien an den Wänden, sondern auch der Raum in allen Farben.

Ristretto-Tassen

Die Ristretto-Tasse – Gedanken

Ristretto, so nennen die Italiener einen kleinen, intensiven Extrakt des Kaffees, der in seiner Winzigkeit – es ist immerhin nur die Hälfte eines Espresso – die ganze Welt einfängt. Es sind 15 Milliliter pure Leidenschaft, für die ich eine Tasse entworfen habe, die ebenso viel Herzblut und Hingabe in sich trägt wie der Kaffee selbst. Es ist die italienische Kunst, die Essenz des Lebens in einem winzigen Schluck einzufangen, während meine Kunst darin besteht, eine ganz besondere Tasse genau dafür zu konzipieren.

Seit einigen Tagen halte ich nach vielen Fehlversuchen endlich die ersten Ergebnisse in der Hand und trage sie natürlich sofort zur Espressomaschine. Der Duft von frisch gemahlenem Kaffee erfüllt den Raum, während der heiße, dichte Ristretto in die kleine grüne Tasse mit dem großen roten Henkel fließt. Es ist, als würden sich die Aromen des Kaffees mit den Farben der Tasse verbinden und so eine besondere Schwingung erzeugen. Ach…

In der Philosophie des Ristrettos spiegelt sich das Wesen des Lebens selbst wider: die Konzentration auf das Wesentliche, das Streben nach Intensität in jedem Augenblick. Wie ein Ristretto in seiner kleinen Menge die Essenz des Kaffees einfängt, so strebt auch der Mensch danach, die Essenz des Lebens zu erfassen. Es geht nicht um die Menge, sondern um die Tiefe der Erfahrung. In der Schlichtheit und Reduktion liegt eine tiefe Weisheit – eine Erinnerung daran, dass das Wertvollste oft in den kleinsten Dingen verborgen ist.

Meine Tassen, geformt aus dunklem Westerwälder Ton und verziert mit farbenfrohen Glasuren, sind nicht nur Gefäße, sondern Symbole dieser Philosophie. Sie tragen in ihrer Gestalt und Farbgebung die Geschichte von Hingabe und Handwerkskunst, von Versuch, Versagen und Erfolg, von Leidenschaft und Geduld. Jede Tasse ist ein Ausdruck meines Strebens, das Schöne und das Nützliche zu vereinen, das Alltägliche in Kunst zu verwandeln.

Der Ristretto erinnert uns daran, das Leben in vollen Zügen zu genießen, auch wenn die Momente flüchtig sind. Er lehrt uns, die Intensität des Augenblicks zu schätzen und die Tiefe in der Einfachheit zu finden. In jeder Tasse, in jedem Schluck steckt die Einladung, sich auf das Wesentliche zu besinnen und die Schönheit des Lebens in seiner konzentriertesten Form zu erfahren.

Magie – irgendwie.

Torsten Gripp | die goldene Hand | 2024
Irgendwie Magie – Gedanken

Wenn ich durch meine Werkstatt gehe, sehe ich überall meine Kreationen aus vergangener Zeit. Sie sind wie kleine Zeitkapseln, die die Spuren ihrer Entstehung in sich tragen. Die rauen Kanten, die ungleichmäßigen Oberflächen und die unerwarteten Formen erzählen von ihren Erlebnissen im Schaffensprozess und berichten mir, auch noch nach vielen Jahren, von ihren höllischen Abenteuern im Fegefeuer.
Es ist erstaunlich, wie oft auch andere Menschen von diesen Stücken angezogen werden. Sie bleiben stehen, nehmen eine Schale oder einen Becher in die Hand und drehen sie, als würden sie nach etwas suchen. Vielleicht ist es das Unvollkommene, das sie anspricht oder die Art und Weise, wie das Licht auf den Oberflächen spielt. Möglicherweise auch die unvorhersehbaren Texturen, die ihre Finger ertasten. Ich weiß es nicht wirklich, aber mehr als einmal habe ich sie sagen hören: „Deine Keramiken haben etwas Lebendiges, etwas Echtes.“
Sie sind, und da bin ich sicher, auf jeden Fall authentisch – greifbar, erdig. Das lässt sich spüren. Sie tragen die Essenz des Tons in sich, die Spuren meiner Hände und Werkzeuge, und die Hitze des Feuers, das sie beständig machte. Sie sind das Ergebnis eines Prozesses, der genauso viel von Zufall wie von Absicht geprägt ist.
Doch diesen Zauber nun in Worte zu fassen, ist eine neue Herausforderung. Wie beschreibt man die unregelmäßige Schönheit einer Schale, die so aussieht, als wäre ihr Vorbild ein Felsblock? Wie erklärt man die Faszination für einen Becher, der aussieht, als wäre er vor Jahrhunderten in einem abgelegenen Dorf gefertigt worden?
Es sind ja nicht nur Objekte; es sind Geschichten, Gefühle, Erinnerungen in Ton gebrannt. Worte sind mächtig, doch sie haben in diesem Fall definitiv ihre Grenzen. Sie können versuchen, die Textur, die Formen und die Farben zu vermitteln, aber sie erreichen selten die Tiefe der Emotionen, die die Keramiken hervorrufen. Es ist, als ob man versucht, das Flüstern des Windes oder das Spiel des Lichts auf dem Wasser in Sprache zu fassen – ein Unterfangen, das zwangsläufig unvollständig bleibt.
Am Ende sind alle Worte nichts als eine Einladung, diese Kunstwerke selbst zu erleben. So wird jeder Betrachter zum Teil der Geschichte, die diese Keramiken erzählen, und findet vielleicht seine eigenen Worte, um den Zauber weiterzutragen.

Becher

Becher – Gedanken

Ein Becher. Manchmal denke ich, die Welt wäre ein besserer Ort, wenn wir alle einfach einen Becher in der Hand halten würden. Nicht, dass ich etwas gegen Tassen oder Teeschalen hätte – ganz im Gegenteil, diese Dinge haben ihren festen Platz in meinem Keramik-Universum. Aber ein Becher hat einfach etwas… bodenständiges. Etwas, das einem das Gefühl gibt, geerdet zu sein, während man den Morgen begrüßt.

Nehmen wir mal eine Teeschale. Diese hübschen kleinen Schalen, laden dazu ein, den Moment zu zelebrieren. Man hält sie vorsichtig, fast andächtig, als würde man ein kleines, fragiles Vögelchen in den Händen halten. Jede Bewegung wird zur Zeremonie. Und dann gibt es noch die Tasse. Die gute alte Tasse, die irgendwie zwischen dem Eleganten der Teeschale und dem Rustikalen des Bechers schwebt. Sie hat ihren Henkel, der uns das Leben ein wenig leichter macht, und bietet ein Gefühl von Sicherheit. Eine Tasse sagt: „Ich bin praktisch, aber ich habe auch Stil.“
Doch der Becher, der Becher ist ein ganz anderes Kaliber. Ein Becher ist ein Gefährte. Er ist die Art von Begleiter, den man sich wünscht, wenn man in eine Decke gehüllt auf dem Sofa sitzt und draußen der Regen gegen die Fenster peitscht. Ein Becher verlangt keine Zeremonie, er erwartet keine Eleganz. Er ist einfach da. Robust. Verlässlich. Und irgendwie vertraut.
Ein Becher, besonders einer, der durch die Kurinuki-Technik entstanden ist, hat eine Seele. Er ist ein Stück Kunst, das man jeden Tag benutzen kann. Er ist ein treuer Freund, der nicht nur Flüssigkeit hält, sondern auch Erinnerungen und Emotionen. Also, das nächste Mal, wenn du einen Becher in die Hand nimmst, denk daran: Du hältst nicht nur ein Gefäß, sondern ein kleines Stück von etwas Größerem. Etwas, das dir vielleicht sogar einen neuen Blick auf die Welt gibt – einen Becher nach dem anderen.

Tee und Freundschaft

Tee & Freundschaft – Gedanken

Tee trinken. Nicht einfach so zwischendurch. Kein beliebiger Teebeutel, mit einem weißen Faden, der aus der Tasse hängt, sondern ausgesuchter Tee und die Ruhe eines Nachmittags. Ich trinke meinen Tee elegant aus Schalen oder eher rustikal aus Bechern. Eine typisch englische Teatime mit Gurken-Sandwichs und zierlichen Tassen aus Porzellan vermeide ich und auch die japanische Teezeremonie ist mir im Alltag viel zu kompliziert. Bei mir gibt es einen guten chinesischen Oolong. Punkt.
Was kann es besseres geben? Doch, es gibt noch eine Steigerung: Tee mit Freunden. Den passenden Freunden natürlich. Sinnenfreudige Menschen sind genau die Richtigen. Idealerweise haben sie einem formidablen Geruchs-, Geschmacks- und Farbsinn.
Freundschaft und gemeinsames Teetrinken, das ist wie eine Symbiose. Es gibt nichts Besseres als das leise Klirren der Teekanne, das sanfte Geräusch beim Eingießen des Tees, der flüchtige, leicht blumige Duft, der ihm entsteigt, das zufriedene Nicken eines Freundes, der die gleiche Freude empfindet. Es geht nicht um große Worte oder bedeutungsschwere Gespräche. Es geht um das Teilen des Moments, das Einlassen auf die Stille, das Finden einer gemeinsamen Ruhe. Einer Resonanz.
Ich bin davon überzeugt, Freundschaft ist mit dem Genuss von Tee vergleichbar. Der erste Eindruck kann täuschen – vielleicht ist er ein wenig bitter, vielleicht etwas zu heiß. Doch mit jedem weiteren Aufguss entfaltet sich der wahre Charakter, zeigt sich die Tiefe, die Wärme, die Verbundenheit. Der Tee, wie die Freundschaft, wird besser, je sorgfältiger er zieht. Er fordert Geduld, Zeit und Hingabe. Und wie beim Tee sind es die stillen Momente, die zählen, das ungezwungene Zusammensein, das gemeinsame Schweigen. Die Zuneigung.

Konfuzius hat diesen Gedanken perfekt eingefangen: „Ein Freund ist ein zweites Ich.“ – schreibt er. Und so ist der Tee nicht nur ein Getränk, sondern ein Medium, das die tiefere Verbundenheit, das „zweite Ich“ im anderen, spiegelt. Und im Idealfall nimmt man gemeinsam den „wiederkehrenden Geschmack“ des Tees wahr. Er entwickelt sich etwa eine halbe Minute nach dem ersten Schluck. Dafür lohnt es sich nach den richtigen Worten zu suchen.

Morgenstund

Morgenstund – Gedanken

Kurz nach dem Aufwachen stehe ich nicht etwa auf, nein, umgeben von Kissen und Decken, bleibe ich noch eine ganze Weile liegen. Wie ein König in seinem Reich. Kein Wecker, der schrillt, keine Verpflichtungen, die rufen. Nur ich und meine Gedanken, die sich frei entfalten können, ohne den Druck des Alltags. Es ist, als würde die Welt draußen für einen Moment stillstehen, nur um mir diese kostbare Stunde zu schenken.
In dieser Stunde bin ich der Architekt meiner eigenen Welt. Ideen fliegen mir zu wie Zugvögel im Frühling. Eine neue Form für eine Vase, ein unkonventioneller Henkel für eine Tasse, ein abstraktes Muster für eine Schale. Alles scheint möglich, alles ist greifbar. Die Inspiration kommt nicht aus dem Nichts; sie entsteht aus der Ruhe, aus dem Nichtstun. Ein Zustand, der fast schon revolutionär wirkt.
Manchmal frage ich mich, ob ich in dieser Stunde eine Art höhere Wirklichkeit betrete. Alles ist klarer, einfacher, reiner. Die Sonne, die durch das Fenster scheint, taucht mein Zimmer in ein goldenes Licht. Es ist wie ein sanftes, warmes Bad für die Seele. Hier gibt es keine E-Mails, keine Nachrichten, keine To-do-Listen. Nur mich und meine Gedanken, die sich in alle Richtungen ausdehnen können. Natürlich gibt es Menschen, die meinen, diese Stunde sei verschwendete Zeit. „Steh auf, sei produktiv!“, rufen sie. Doch ich weiß es besser. Diese Stunde ist das Fundament meines Tages, das Geheimnis meiner Kreativität. Sie ist der unsichtbare Motor, der alles antreibt. Ohne sie wäre ich wie ein Töpfer ohne Ton, ein Maler ohne Leinwand.
Und so liege ich noch eine Weile, halte die Augen geschlossen und lasse die Gedanken tanzen. Ich weiß, dass ich bald aufstehen muss, dass der Alltag ruft. Aber für diesen kurzen Moment gehöre ich nur mir selbst. Und das ist, wie ich finde, der schönste Zustand, den es gibt. Eine Stunde im Bett bleiben – das ist nicht nur Luxus, das ist pure Notwendigkeit.

Ich bin froh.
Und wer froh ist, ist ein König.

Unperfekt

Unperfekt – Gedanken

Seit Jahren nun versuche ich, meine Töpferkenntnisse zu vervollkommnen. Hier ein Trick, da ein Trick, Arbeitsabläufe perfektionieren, Fehler nicht mehr als zweimal machen. Glasuren testen, Brenntemperaturen anpassen und die richtigen Tonsorten finden. Ich bin quasi ein Töpfer-Sherlock Holmes auf der Suche nach den perfekten Arbeitsabläufen. Doch nun bin ich auf dem Rückweg. Statt möglichst ohne Fehl und Tadel und technisch perfekt zu arbeiten, werfe ich alle Regeln über Bord und stürze mich ins kreative Chaos.
Und, ich muss sagen, das macht entsetzlich viel Spaß. Meine Werkstatt sieht aus wie ein Schlachtfeld. Die Kreationen? Sie wirken nun etwas unfertig, aber irgendwie macht mich das froh. Es ist, als ob die Tassen und Schalen dadurch ihre eigene, schrullige Persönlichkeit entwickeln. Eine kleine, schelmische Schale hier, eine schief grinsende Tasse dort.
Diese Tasse hier ist gerade mitten im Prozess. In ein paar Tagen wird sie durchgetrocknet sein und ist dann bereit für die Glasur und den Brennofen. Bei den letzten Schritten muss ich mich allerdings wieder an die Regeln halten. Ansonsten wird es ein „Nicht-Trink-Gefäß“ – und das wäre so gar nicht in meinem Sinne. Denn, wer will schon eine Tasse, die wie ein Kunstwerk aussieht, aber beim ersten Schluck Kaffee zerbricht oder undicht ist? Ach, es ist kompliziert mit der unperfekten Perfektion. Es ist ein Tanz auf der schmalen Linie zwischen Kontrolle und Chaos. Zwischen dem Streben nach makelloser Schönheit und der Freude an der spontanen Unvollkommenheit. Wenn ich ehrlich bin, finde ich genau hier die wahre Erfüllung. In der Balance zwischen Technik und Freiheit, zwischen Planung und Zufall.
Das Töpfern hat mich gelehrt, dass Perfektion nicht immer das Ziel sein muss. Manchmal ist es viel befriedigender, den Ton einfach in alle Richtungen zu formen und zu sehen, was passiert. Die besten Stücke sind oft die, bei denen ich die Kontrolle loslasse und ich spielerisch mit dem Material „matsche“. Am Ende muss das Gefäß noch funktional sein, aber der Weg dorthin kann ruhig ein wenig kreativ sein, finde ich.
Also, während diese Tasse trocknet und auf ihren finalen Schliff wartet, lehne ich mich zurück und genieße den Moment. Denn im Chaos der Werkstatt finde ich endlich ein Stück von mir selbst. Ein Stück, das nicht immer perfekt sein muss, um glücklich zu sein.

Szenen einer Tasse.

Szenen einer Tasse – Gedanken

Kaum präsentiert, denke ich über die Art und Weise meiner Inszenierung nach. Meine Wahrheit ist: ohne eine solche wären die Keramiken wie ein Schokoriegel ohne Verpackung. Klar, der Inhalt ist immer noch lecker, aber es fehlt das gewisse Etwas. Das Knisternde. Das vielversprechende Rascheln. Bei der Kunst ist es ähnlich. Manchmal ist es das leise Raunen in einem Museum, das gedämpfte Licht, die Art und Weise, wie ein Gemälde an der Wand hängt. All das schafft eine Atmosphäre, die uns hilft, in die Welt des Künstlers einzutauchen.
Aber, oh, die Tücke dabei! Manchmal führt uns diese Inszenierung auch an der Nase herum. Wir denken, wir sehen die Kunst durch unsere eigenen Augen, doch in Wirklichkeit sind wir Marionetten, die dem Meisterplan des Kurators folgen. Einmal betrachtete ich ein modernes Kunstwerk – es war in irgendeinem Museum in der Ecke eines Raumes. Mit edler Beleuchtung und wunderbaren Schatten. Die Inszenierung flüsterte mir zu: „Das ist bedeutungsvoll.“ Und ich, wie ein gehorsamer Kunstliebhaber, nickte weise, obwohl ich innerlich nur wenig beachtenswertes sah.
Aber was ist Kunst, wenn nicht eine groß angelegte Manipulation? Sie zieht uns hinein, verdreht unsere Wahrnehmung, fordert unsere Überzeugungen heraus. Genau das macht sie so lebendig, so faszinierend. Sie ist ein Spiel mit Gedanken und Emotionen, ein Labyrinth, das wir durchqueren – oft ohne zu merken, dass wir geführt werden. Und ist das nicht irgendwie schön? Dass wir uns in einem gut inszenierten Moment verlieren können? Natürlich gibt es Kunst, die behauptet, nichts anderes zu sein als das, was sie ist. Eine schlichte, handgemachte Teeschale. Eine verrückte Espresso-Tasse. Doch selbst hier liegt ein gewisses Maß an Inszenierung. Die Schale steht auf einem hölzernen Untersetzer, ein zarter Duft von frisch aufgebrühtem Tee steigt auf. Wir nehmen sie in die Hand und spüren die Wärme und die Struktur des Tons. Die Inszenierung mag subtil sein, aber sie ist da. Sie lässt uns den Moment schätzen, ihn als etwas Besonderes wahrnehmen.
Kunst ist und bleibt ein schillerndes Kaleidoskop. Sie verführt, lenkt, fordert heraus. Und ja, sie braucht die Inszenierung, um zu leuchten. Vielleicht sollten wir also nicht gegen die Inszenierung ankämpfen, sondern sie umarmen. Sie als das akzeptieren, was sie ist: ein weiteres Puzzleteil im großen Spiel der Kunst. So können wir uns dem Moment hingeben, ohne ständig zu hinterfragen, ob wir nun wirklich unsere eigenen Gedanken denken oder die des Künstlers. Denn letztlich geht es doch um das Erleben, das Staunen, das Mitfühlen. Und das – so meine ich – ist der wahre Kern der Kunst.