Espressotassen – Gedanken
Ach ja, die kleinen Espresso- oder Ristrettotassen mit dem großen Henkel – ein Thema, das die Kunst- und Kaffeegemeinde so sehr entzweit wie die Frage nach dem besten Belag für Pizza. Da gibt es eben diesen einen besonderen Henkel, der so groß ist, dass man meinen könnte, er sei für die Hand eines Riesen gemacht. Und dann die Tasse selbst, die dagegen fast wie ein Scherzartikel wirkt – unproportional, scheinbar unpraktisch, irgendwie… ungewöhnlich. „Das braucht kein Mensch!“ rufen die Traditionalisten entsetzt.
Aber halt! Bevor ihr eure Espressobohnen vor Entrüstung verschüttet, denkt an die Avantgardisten. Ja, es gibt Menschen, die diese Idee geradezu genial finden. „Endlich mal was anderes!“ rufen sie aus, als hätten sie nur darauf gewartet, endlich mehrere Finger in den Henkel stecken zu können.
Doch für jeden, der diese neuen Tassen feiert, gibt es mindestens einen, der sie verflucht. „Hau ab mit diesen Dingern!“ wird genauso oft gerufen wie „Ich nehme zehn davon!“ In der Kaffeewelt, wie auch in der realen Welt, bleibt also alles beim Alten: kontrovers, leidenschaftlich und ein klein wenig verrückt. Und während die einen sich fragen, was ich mir als nächstes einfallen lasse – vielleicht eine Untertasse, die größer ist als der Tisch? – schlürfen die anderen bereits ihren Espresso aus den neuen Tassen und genießen einfach die Show, das Individuelle, die unbezahlbare Einzigartigkeit.
Ja, niemand braucht Luxus, aber es ist eine ganz besondere Kunst, das Leben nach seinen eigenen Vorstellungen und Wünschen zu gestalten. Wer seine Espressotasse individualisiert, sich mit der Form dieses Gefäßes auseinandersetzt und sich mit Urteilskraft und Kenntnis für ein solches Produkt entscheidet, der wird vom Konsumenten zum Co-Produzenten. Und… zack, wird Luxus zur individuellen Lebensgestaltung.
Da sitze ich also, mit meinem selbstgestaltetem Setup, meinem Kunstwerk. Der flache Stein, den ich an jenem kühlen, windigen Herbsttag an der Küste der Normandie gefunden habe, dient nun als Unterteller. Ein bisschen wackelig vielleicht, aber genau das verleiht ihm diesen besonderen Charme. Es ist, als würde dieser Stein meinen ungewöhnlichen Tassen und dem Kaffeegebräu eine Geschichte erzählen – von rauen Wellen, endlosen Stränden und der salzigen Brise, die durch mein Haar fegt.
Und während ich meinen ersten Schluck nehme, spüre ich, wie ich mich aus der Welt der Eile und der digitalen Dauerbeschallung herauskatapultiere. Hier, in meinem kleinen Kaffeeritual, gibt es keinen Platz für Nachrichten über Krieg und Katastrophen. Hier zählt nur der Moment – das leise Gluckern des Kaffees, das zarte Klirren der Tasse auf dem Stein, und der tiefe, vollmundige Geschmack, der meine Sinne umschmeichelt.
Ich bin nicht einfach ein Kaffeetrinker. Nein, ich bin ein Genießer, ein Künstler des Alltags. Jeder Schluck ist eine Ode an die Einfachheit, ein stilles Manifest gegen die Reizüberflutung unserer modernen Zeit. Mein kleines Ritual ist eine Insel der Ruhe inmitten des tosenden Ozeans der Informationsflut. Es ist ein Moment der Einkehr, ein Augenblick des Friedens, der mich daran erinnert, dass wahre Kunst nicht nur in den großen Galerien dieser Welt zu finden ist, sondern in den kleinen, unscheinbaren Momenten des Lebens.
Meine Tasse in der Hand, blicke ich auf den kleinen, flachen Stein, der mehr als nur ein Unterteller ist. Zusammen mit der einzigartigen Tasse sind sie mein Symbol für all das, was wirklich zählt: Achtsamkeit, Genuss und die Fähigkeit, inmitten des Alltags ein wenig Magie zu finden.