Der Tag passiert mich.

Ich lasse mein Leben laufen. 
Greife nicht ein. 
Fast nicht. 

Es ist wie in der Werkstatt, wenn der Ton durch meine Hände geht – lebendig und doch still. Mein Geist ruht, während meine Hände arbeiten. Sie finden ganz von selbst eine Form. Ich denke nur: „Becher“, und die Reise beginnt. Manchmal denke ich auch: „Teeschale, Vase oder Schale“. Aber der Gedanke bleibt ein leises Wispern. Der Rest geschieht von allein. Jedes Stück wird so ein Einzelstück. Serienfertigung? Unmöglich. Und das ist gut so. Dazu hätte ich ohnehin keine Lust.

Später, wenn ich die Rohform versäubere, wird mein Kopf lebendig. Gedanken fliegen hin und her, treiben vor und zurück, wie Herbstblätter, die keinen Halt suchen. Oft aber bleibe ich einfach nur in diesem einen Moment stehen. In der Freude. Ich halte das Ding, das meine Hände geschaffen haben, und spüre eine leise, warme Zufriedenheit. Es ist so viel mehr als nur Ton. Es lebt. Es ist ein magischer Moment.

Und dann kommt die Glasur. Ein Ritual wie das Anziehen am Morgen. Aus der Vielzahl von Kleidern – meinen Glasuren – wähle ich das aus, das zum Tag passt. Ich entscheide spontan. Der Ofen wird sowieso das letzte Wort haben. Dort, in der Gluthitze, geschieht das Wunder der Verwandlung. Mein Einfluss ist eher gering. Es ist das große Nichteingreifen, das den Zauber möglich macht.

Ich mag dieses Nichteingreifen. Es ist befreiend. Es nimmt mir die Verantwortung ab und schenkt mir stattdessen Glauben. Einen Glauben an das Schicksal, das, wie der Ofen, seine eigene Sprache spricht. Nichteingreifen bedeutet nicht, dass ich mich treiben lasse wie ein Blatt im Wind. Es bedeutet, dem Fluss des Lebens zu vertrauen, ohne ihn zu kontrollieren. Die Arbeit mit dem Ton lehrt mich: Alles hat seine Zeit, seine eigene Geschwindigkeit. Eingreifen würde die Form brechen, würde die Harmonie stören, die sich ganz von allein entfaltet. Es ist ein Tanz zwischen Schicksal und Willen, bei dem der Wille einen Schritt zurücktritt, um dem Schicksal Raum zu geben.

„Der Tag passiert mich.“

Dieser Satz klingt seltsam, als wäre er gestolpert. Und doch ist er ganz eindeutig. Ein Tag passiert mich. Er zieht an mir vorbei, wie ein Strom, in den ich nicht greife. Er lässt sich nicht festhalten, nur erleben. Am Ende wird er von der Nacht abgelöst, wie ein Schatten, der den Raum einhüllt. Und irgendwann falle ich in den Schlaf. Ein Zustand, der vom Tod kaum zu unterscheiden ist. Diese Grenze fasziniert mich. Ich frage mich manchmal, ob ich nach dem Tod wohl auch träumen werde. Die Vorstellung macht mich seltsam froh.

Bisher bin ich immer wieder aufgewacht. Das Licht hat die Dunkelheit besiegt, und mich wieder in den Tag geschickt. Und dafür bin ich dankbar. Der neue Tag kann mich nun wieder passieren. Und so lasse ich ihn fließen – wie alles andere auch.