Manchmal steht die Welt Kopf. Oder man selbst. Und wenn das passiert, ist guter Rat teuer. Zum Glück gibt es die Tarotkarten, die einem, je nach Tagesform, entweder einen Schauer über den Rücken jagen, zum Nachdenken oder zum Schmunzeln bringen.
Für mich heute also: Der Hängende Mann.

Was für eine Karte! Ein Mensch, verkehrt herum aufgehängt, als hätte er die Schwerkraft herausgefordert und verloren. Kein erfreulicher Anblick auf den ersten Blick. Doch auf den zweiten eine Offenbarung.
Der Hängende Mann ist kein Opfer. Er ist ein Denker, ein Waghalsiger, ein Philosoph in akrobatischer Pose. Während andere die Welt aus ihrer gewohnten Perspektive betrachten, hat er sie auf den Kopf gestellt. Er hängt da, das Bein sorgsam verschränkt, die Arme locker, und ein feiner Nimbus leuchtet um seinen Kopf. Ein Heiliger? Ein Narr? Vielleicht beides.
Besonders bedeutend für mich ist das Tau, an dem er hängt. Es ist nicht irgendein Balken, nicht einfach eine beliebige Befestigung. Es ist das Tau-Kreuz, das Zeichen des heiligen Franz von Assisi. Ein Symbol der Demut und des Vertrauens, das schon viele vor ihm getragen haben. Franz von Assisi wählte dieses Zeichen als Ausdruck seiner Hingabe, seiner radikalen Lebenswende, seiner Loslösung vom Alten, um dem wahren Leben näherzukommen. Es ist ein Zeichen des Dienens, der Verwandlung und der Offenheit für das, was wirklich zählt. Der Hängende Mann gibt sich dieser Klarheit hin. Er kämpft nicht gegen das Seil, sondern nimmt seine Position ein, lässt los, um Neues zu gewinnen. Sein Opfer ist kein Verlust, sondern eine Wahl.
In einer Welt, in der Stillstand als Rückschritt gilt und Nachdenken als Zeitverschwendung, ist es ein gewagter Schritt, sich bewusst in die Schwebe zu begeben. Doch genau das tut er. Er bleibt hängen. Nicht aus Schwäche, sondern aus Leidenschaft. Er gibt sich hin, aber nicht auf. Er verzichtet auf Bewegung, aber nicht auf Erkenntnis. Sein Herz ist höher als sein Kopf, und genau das macht den Unterschied. Denn wahre Weisheit kommt nicht aus dem Verstand allein. Sie kommt aus dem Herzen, aus dem Vertrauen, aus der Hingabe an das, was wirklich zählt.
Der Hängende Mann macht mir keine Angst. Ich bin nicht erschrocken. Es ist keine Karte der Niederlage, sondern der Umkehr. Sie fordert mich dazu auf, das Gewohnte zu hinterfragen, das Feste zu lösen, sich vom Alten zu lösen, um Neues zu denken. „Metanoeite“, war der Wahlspruch vom heiligen Franz: Denkt neu! Keine leichte Aufgabe, aber eine lohnende.
Viele lächeln, wenn sie vom Tarot hören. Ein Spiel, sagen sie. Zufall, Hokuspokus. Doch wer sich wirklich darauf einlässt, spürt, dass es mehr ist. Eine Karte zu ziehen bedeutet nicht, sich einem beliebigen Schicksal zu beugen. Es bedeutet, sich einen Moment der Klarheit zu nehmen, sich in dem Spiegel zu betrachten, den das Leben einem hinhält. Es ist eine bewusste Entscheidung, sich dem eigenen Inneren zuzuwenden, nach Antworten zu suchen, die in einem selbst schlummern.
Ich will neue Gedanken zu wagen. Nicht hektisch, nicht verzweifelt, sondern ruhig und gleichmütig. Und wer weiß: Vielleicht ist genau das der Anfang von etwas Wunderbarem.