Gesichter einer Teeschale

Manchmal ist sie nur eine Teeschale.
Manchmal ist sie das Auge des Sturms.


Heute ist ihr letzter Tag bei mir. Still ruht sie auf dem Holzbrett, als wüsste sie längst, dass ihre Reise weitergeht. Die Teeschale mit den vielen Gesichtern. Manchmal unscheinbar, dann wieder erhaben wie eine Welle im Atlantik. Sie spiegelt das Licht, das sie trifft. Sie spiegelt die Seele, die sie hält.

Manchmal ist sie nur eine Schale. Manchmal ist sie das Auge des Sturms, das Zentrum eines Moments, der hält und trägt. Tee flüstert in ihr, kräutrig oder bitter, leise oder kräftig. Sie kennt keine Eile, nur den Wandel.

Wenn draußen die Winde toben, wird sie zum Anker. Wenn Stille zu laut wird, füllt sie den Raum mit einem tiefen, warmen Schluck Zeit. Und wenn ein Sonntag zu blass erscheint, weckt sie das Meer – Wellen rollen in der Tiefe ihres Inneren, salzig, schaumgekrönt, abenteuerlustig.

Warum? Weil sie mehr ist als Ton. Weil sie atmet. Weil sie verzaubert ist.

Ihr neuer Besitzer hat sie eingereiht in das Teeschalen-Regal.
Ich finde, sie sticht ein wenig hervor. Die blau-weiße Meeres-Tee-Schale.