Tag 5 der Balkanreise – Perast und Risan

Perast und Risan – ein Kapitän auf Landgang

Die Zeit steht still, hier in Perast und auch der venezianische Einfluss aus ferner Vergangenheit ist noch immer in den alten Gemäuern spürbar. Hier, zwischen den verwinkelten Gassen und den majestätischen Villen vergangener Seefahrerzeiten, habe ich mir für ein paar Tage mein eigenes kleines Kapitänsdomizil erkoren.
Als ich früh am Morgen durch die engen Gassen von Perast schlendere, fühle ich mich wie ein Zeitreisender, der in die venezianische Vergangenheit Montenegros eingetaucht ist. Die alten Häuser, die stolz an den Hang geschmiegt sind, erzählen Geschichten von Kaufleuten und Kapitänen, die einst diese malerische Stadt zu ihrem Rückzugsort machten.

In einem dieser charmanten Häuser habe ich mein temporäres Zuhause gefunden. Als selbsternannter Kapitän der Landstraße passt es perfekt zu meinem reisenden Lebensstil. Der Duft von frisch gebackenem Brot und salziger Meeresluft begrüßt mich am Morgen, während die Sonne über der Bucht einen goldenen Schimmer wirft.
Während die meisten Touristen noch in ihren Betten schlummern, streife ich bereits durch die stillen Straßen und hole mir mein tägliches Brot. Es ist, als hätte die Stadt sich nur für mich entschieden, ihre Geheimnisse preiszugeben, bevor der Trubel des Tages beginnt.
Die nächsten beiden Tage versprechen eine unerwartete Ruhe, denn Montenegro feiert den Tag der Arbeit mit einer zweitägigen Auszeit. Alles wird stillstehen, und ich werde die Gelegenheit haben, ganz ich selbst zu sein, ohne Ablenkung oder Verpflichtungen.

Die beiden winzigen Inseln in der Bucht, auf denen sich eine Kirche und ein Friedhof befinden, scheinen ein Symbol der Weisheit der Einheimischen zu sein. Denn inmitten all des Trubels und der Hektik ist dies zweifellos der schönste und friedlichste Ort in der ganzen Bucht.

Jetzt, in diesem Moment, wacht die Stadt auf. Die Stille wird nach und nach von telefonierenden Menschen, kreischenden Baumaschinen, hupenden Autos und lautem Schiffsgedröhn durchbrochen. Alles zusammen ergibt eine Geräuschkulisse die kaum stört. Es ist eben einfach so.

Torsten Gripp | Perast | Montenegro

Dicke Amerikaner, schlaksige Engländer, die nur aus Knien und Ellenbogen zu bestehen scheinen und staunende Polen, die sich am Stand nebenan ein Eis am Stiel leisten.
Was eben noch so idyllisch war, ist jetzt ein Gewusel von Touristen. Eine Vielzahl von ihnen führt das Handy aus. Fotografiert und filmt, was das Zeug hält. Schaut man dann etwas genauer hin, stellt man fest, dass fast alle Handys in der Selfie-Funktion eingestellt sind. Sie fotografieren gar nicht die schöne Gegend, sondern sich in dieser schönen Gegend.
Ihr Thema: Eine tolle Stadt als Hintergrund für ein Selfie, aber für höchstens zwei Stunden.
Ich selbst? Ich sitze im Schatten, trinke eine Dose Cola und gucke mir die Szenen an. 🎬

Aber nicht lange. Ich fliehe lieber. Möchte meine Ruhe haben.
Flucht! Ein Wort, das sich in meinem Kopf wiederholt, während ich mich auf der Suche nach Zuflucht durch die malerischen Straßen Montenegros bewege. Und dann, Risan taucht auf – eine der ältesten Orte des Landes. Eine Oase der Geschichte, umgeben von der satten Blau- und Grüntönen der Adria. Ein Ort, der mit Geschichten altertümlicher Tage gefüllt zu sein scheint, wartet darauf, von mir erkundet zu werden.
Ich finde Unterkunft in einem alten Lagerhaus, das einst einem venezianischen Handelsherrn gehörte. Ein Kellerapartment, das trotz der brütenden Hitze draußen eine erfrischende Kühle bietet – ein wahrer Luxus für weniger als 50 Euro. Die Ruine nebenan wirkt wie ein stiller Zeuge vergangener Tage, als die Wellen der Zeit die Stadt geformt haben.
Mein Auto parkt an der Küstenstraße, wo dicke Lastwagen in einem atemberaubenden Tanz um Millimeter an ihm vorbeifliegen. Eine Entscheidung steht an: Zulassen oder lieber wegfahren?
Ich entscheide mich für die Herausforderung und lasse den Kontrast zwischen Vergangenheit und Gegenwart auf mich wirken.
Aus dem kleinen Schlafzimmerfenster blicke ich auf einen alten Hinterhof, wo einst vielleicht Marco Polo seine Waren inspizierte. Heute ist es das Zuhause einer kleinen Katze, die gemütlich in einem Eimer ruht – ein charmantes Bild von alter und neuer Welt, verbunden durch die skurrile Realität des modernen Lebens.
Ein kaltes Bier steht vor mir, während ich meinen Picknickplatz direkt am Meer genieße – ein kleines Stück vom Paradies, das zum Apartment gehört. Doch dazwischen liegt eine Straße, deren Überquerung einem wagemutigen Abenteuer gleicht. Ich finde, das Risiko ist es wert für den Zauber dieses Moments.
Bevor es zum Abendessen geht, mache ich mir schnell eine dicke Stulle mit heimischen Aufschnitt und trinke ein Glas Rosé – eine Vorspeise, die den Gaumen und die Seele gleichermaßen erfreut. Ich muss ja nicht mehr fahren. Erst morgen wieder, wenn es heißt: Finde den nächsten schönen Ort.
Ach ja, fast hätte ich es vergessen. Ich war noch einkaufen bei: HERMES. Der Storeleiter war ein ganz besonderer Mensch. Ach….

Ich bitte um Entschuldigung, aber ein Gedicht aus meiner Schulzeit geht mir bei dieser Reise nicht aus dem Kopf.

DER PANTHER

IM JARDIN DES PLANTES, PARIS
Sein Blick ist vom Vorübergehn der Stäbe
so müd geworden, daß er nichts mehr hält.
Ihm ist, als ob es tausend Stäbe gäbe
und hinter tausend Stäben keine Welt.

Der weiche Gang geschmeidig starker Schritte,
der sich im allerkleinsten Kreise dreht,
ist wie ein Tanz von Kraft um eine Mitte,
in der betäubt ein großer Wille steht.

Nur manchmal schiebt der Vorhang der Pupille
sich lautlos auf –. Dann geht ein Bild hinein,
geht durch der Glieder angespannte Stille –
und hört im Herzen auf zu sein.