Der Gegenwindfänger.

Es war ein Montag. Vielleicht auch ein Dienstag, aber das spielt keine Rolle. Es war ein Sommertag. Die Vögel sangen munter vor sich hin. Der Tee dampfte leise. Ich saß im Garten und war niemandem im Weg.

Dann kam eine.
Eine, die sich selbst zu oft im Spiegel begegnet.
Freundlich. Vordergründig.
Doch in ihren Worten scharrte es schon:
„Na, läuft ja bei dir. Manche haben halt Glück.“
Und dann dieses unausgesprochene:
„Ich nicht.“

Ich sagte nichts. Atmete nur. Und spürte, wie ihre Augen suchten. Einen Makel. Einen Riss. Etwas, das sie deuten konnte als Beweis für ihr eigenes Unglück.
Menschen, die in sich leer sind, versuchen manchmal, dich auszutrinken. Mit großen Schlucken. Sie nennen es Interesse. Oder Ehrlichkeit. Aber es ist Durst. Nach Aufmerksamkeit. Nach Schuldverlagerung. Nach deinem Licht, weil sie ihres verloren haben. Gefolgt von dieser unsichtbaren Klammer:
„Ich nicht.“

Nicht auf sie zu reagieren, macht sie nervös. Die Menschen, die nicht bei sich sind. Die ihren Mangel nicht aushalten und deshalb versuchen, ihn zu verteilen. Es sind nicht die Erfolgreichen, die einem zusetzen. Es sind die, die glauben, sie kämen zu kurz. Und dann mit spitzen Fingern nach allem greifen, was in ihrer Nähe leuchtet. Und wenn sie’s nicht kriegen, wird’s schlechtgemacht. Runtergeredet. Zerschaut.

An diesem Tag bin ich aufgestanden.
Langsam.
Nicht dramatisch.
Einfach so, als hätte ich plötzlich etwas anderes vor.
Und das hatte ich auch.
Ich wollte mein Inneres nicht verschenken.
Auch nicht an den Spiegel, den sie mir hinhielt.

Mein Schutzengel Friederike sagt immer:
„Wenn du einen Drachen siehst, frag nicht, warum er Feuer speit. Frag, ob du ihm den Rücken kehren darfst.“
Und dann lacht sie.
Und ich auch.

Es ist erstaunlich, wie viele Menschen einem nicht verzeihen, dass man still seinen Weg geht. Dass man nicht mit ihnen leidet. Nicht im selben Sorgenkarren sitzt. Sondern lieber zu Fuß geht. Vielleicht barfuß. Vielleicht mit einem Rucksack voller Denkgefühle, der manchmal schwer ist, aber wenigstens echt.

Ich erinnere mich an einen anderen Tag.
Ein Kollege, nenn ich ihn mal so, hatte nichts gelernt, außer, wie man sich in Szene setzt. Er schleimte nach oben und trat nach unten. Ich war zufällig unten. Und weil ich mich nicht ducken wollte, wurde ich zur Projektionsfläche seiner Zersinnung. Er grinste, als er mir ein Bein stellte. Nur metaphorisch natürlich.

Die neuen Narzissten arbeiten mit Worten, nicht mit Messern.
Sie säen Zweifel.
Hinterfragen deine Motive.
Verdrehen deine Sätze.
Und nennen das „professionell“.

Ich stand wieder auf.
Und sagte:
„Danke für den Hinweis. Ich bleib trotzdem hier.“

Damals habe ich gelernt:
Man muss sich nicht verteidigen.
Wer sich verteidigt, erkennt den Angriff an.
Besser ist: erkennen, was es ist.
Und weiteratmen.
Lang und tief.
Wie ein Baum.
Und irgendwann wird’s leichter.
Wenn man sich nicht beeindrucken lässt.
Nicht entmutigen.
Nicht in fremde Dramen hineinsaugen.

Dann entwickelt sich so etwas wie ein stilles Rückgrat.
Ein unsichtbares, aber sehr deutliches Nein.
Kein trotziges.
Eher ein:
„Das ist nicht mein Tanz.“

Es gibt einen Punkt im Leben
meist nach ein paar gelebten Jahrzehnten
da spürt man:
Ich bin nicht mehr verfügbar für diese Spiele.
Nicht aus Hochmut.
Sondern aus Würde.
Und aus dem leisen Wissen:
Ich hab Wichtigeres zu tun.
Ich möchte zum Beispiel heute noch lachen.

Manchmal will man zurückschießen.
Einmal alles sagen, was man längst gedacht hat.
Aber dann sehe ich meine Teeschalen.
Diese schiefen, langsamen Gefäße.
Und ich weiß, dass Würde nicht laut wird.
Dass Stärke leise ist.
Und dass es eine Kunst ist, einfach sitzen zu bleiben, während andere strampeln.

Ich denke an die Alten.
Die mit den rauen Händen und den klaren Blicken.
Die nie viel sagten.
Aber mit einem Nicken ganze Bücher schrieben.
„Ich hab Schlimmeres gesehen“, sagten sie mit den Augen.
Und ich glaube, sie meinten sich selbst.
Ihre Irrwege.
Ihre Umwege.
Und dass sie nicht daran zerbrachen.

Wenn du mich also fragst, wie man bleibt,
wenn andere sich auf deine Kosten aufpumpen,
dann sage ich:
Geh.
Nicht wegrennen.
Geh innerlich.
Leise.
Würdevoll.
Trag deinen Blick woanders hin.
In die Ferne.
In ein stilles Ja zu dir.

Und wenn es geht:
Lächle.
Nicht über sie.
Über dich.
Dass du dich erinnerst.
Dass du spürst, wo deine Grenze verläuft.
Und dass du sie nicht betonieren musst.
Ein ruhiger Atem reicht.

Und dann geh irgendwohin, wo du wieder du bist.
In den Wald.
In dein Atelier.
In einen Satz, der dich tröstet.
Oder in ein Lächeln von Frederike, das dich daran erinnert,
dass das alles nichts mit dir zu tun hat.
Sondern nur mit der Leere im anderen.

Die Haltung, die ich meine, ist kein Konzept.
Sie ist wie der Ton, mit dem ich arbeite.
Ungebrannt.
Formbar.
Nicht beliebig.

Du spürst es in dir,
wenn du deinen Becher nicht hergibst,
nur weil jemand Durst hat
aber kein eigenes Gefäß.

Es ist wie mit dem Wind.
Du kannst ihn nicht stoppen.
Aber du kannst lernen, in ihm zu gehen.
Ihn durch dich hindurch wehen zu lassen,
ohne dass er dich mitnimmt.

Ich nenne das Gegenwindfangen.
Eine Kunstform.
Wie Kokoro-Kurinuki.
Außen roh.
Innen weit.
Nicht perfekt.
Aber echt.
Ohne Masken.
Ohne Reaktionstheater.
Ohne das ewige:
„Warum ich?“
Denn die Antwort darauf ist:
„Weil du da bist.“

Und das reicht.
Für viele schon als Provokation.

Lass dich nicht kleinschauen.
Nicht verdrehen.
Und auch nicht aus deinem inneren Raum vertreiben.