Haus der Viviane

Ich verlasse meine Insel, auf der ich die Nacht verbracht habe, ohne Frühstück. Wieder einmal. Die Franzosen und das Frühstück. Eine unendliche Geschichte. Es ist, als hätten sie einen Pakt mit der Morgendämmerung geschlossen, um nur dann aufzustehen, wenn der Tag bereits in vollem Gange ist.

Bonjour! (…)

Auf der Autobahn begrüßt mich eine Raststätte mit einem großem Reklameschild „Bonjour“!. Ich mache Halt und zahle meinen nicht zu knappen Obolus an einen desinteressierten Menschen, der mir dafür einen Kaffee aus einem Automaten zapft und ein Croissant dazulegt. Aber: Es schmeckt. Tatsächlich. Es schmeckt, als hätte der Himmel höchstpersönlich in den Teig gepustet. Was Hunger so bewirken kann, ist schon erstaunlich.

Weiter geht die Fahrt zum Haus der Viviane. Das Grab Merlins scheint die Erfindung eines kreativen Schriftstellers zu sein, lese ich ich einem Reiseführer. Kurzerhand habe ich mich umentschieden und besuche Viviane. Diese Fee taucht unter verschiedenen Namen auf, darunter Elaine, Niniane, Nivian, Nyneve, Nimueh oder auch Herrin vom See, Dame vom See, Hüterin der Quelle, Königin des Wassers oder Dame vom Brunnen. Nimue ist die Hüterin des Sees, aus dem Artus das Schwert Excalibur erhielt. Sie gilt als Ziehmutter Lancelots und auch als Lehrerin oder Geliebte des Zauberers Merlin.
Das finde ich viel spannender als ein erfundenes Grab. Es war ein langer, wirklich langer Spaziergang, bis ich ihr Haus gefunden habe. Es liegt auf einem Berg, der einen Blick auf die gesamte Tiefebene ermöglicht. Meiner Gänsehaut nach zu urteilen, war ich an einem authentischen Platz. Es war wunderschön, da oben zu stehen und in die Runde zu schauen. Am Grab der Viviane legen noch immer Menschen Blumen ab und bringen kleine Opfer dar. Das finde ich rührend. Vielleicht hätte ich auch eine Tulpe mitbringen sollen, um sie symbolisch ins magische Wasser zu werfen.


Ganz in der Nähe gibt es noch den Garten der Mönche. Also: Navi an, losfahren. Ein Viereck mit alten Steinen drumherum. Kein Gemüse oder Obstbäume. Irgendwie habe ich mir diesen Ort anders vorgestellt. Definitiv sollen hier erst Druiden dann Mönche gelebt haben. Aber ein Garten? Ich vermute dann doch eher ein Haus. Ein einfaches Haus, höchstens.
Am Rand des von Licht durchströmten Ortes veranstalten zwei Mädels ein Picknick. Schnell mal ein bisschen quatschen. Sie befinden sich auf einer Wandertour durch die Megalithkultur. Ein Picknick im Garten der Mönche, das klingt nach einer fantastischen Idee. Vielleicht sollte ich mir einen Rucksack schnappen und mich zu ihnen gesellen. Schließlich bin ich auch ein Meister im Wandern und im Sandwichschmieren.

Mich zieht es weiter nach St. Malo. Im Chateaubriand habe ich einen Tisch für 19.30 Uhr reserviert. Es wird Austern geben und irgendetwas dazu. In diesem geschichtsträchtigen Haus habe ich schon einmal gegessen. Deswegen freue ich mich darauf, die kulinarische Zeitreise fortzusetzen. Außerdem überlege ich, noch eine Nacht hier zu bleiben. Vielleicht nimmt mich Sir Francis Drake doch noch mit auf Kaperfahrt. Wer kann schon Nein zu einem Abenteuer in einem Schloss sagen, das nach Knoblauch und Geschichte riecht?

In der Zwischenzeit werde ich mich auf meine Austern stürzen und darüber nachdenken, wie ich die magische Energie von Vivianes See nutzen kann, um das perfekte Croissant zu backen. Schließlich könnte das die Lösung für Frankreichs Frühstücksdilemma sein. Oder zumindest ein guter Grund, um nach Hause zurückzukehren.

Im Chateaubriand. (…)

Wie geplant befinde ich mich um Punkt 19.30 Uhr mitten im legendären Chateaubriand in St. Malo, umgeben von alten Gemäuern und modernem Interieur, während gelangweilte Kellner mit dem typisch französischen Gehabe um mich herumwuseln. Die Vorfreude auf gutes Essen und Trinken steigt, als ich beschließe, einen Muschelabend einzulegen.

Die Entscheidung für eine Flasche Wein fällt leicht, und es muss natürlich ein Weißwein aus der Gegend sein. Ich nehme einen Schluck und spüre, wie die Kraft der sonnenverwöhnten Reben in mir aufblüht. Als Gruß aus der Küche ein kleines Kännchen mit kalter Suppe. Mann, ist die scharf. Die Austern, mein erster Gang, werden flott serviert. Sie sind frisch, wirklich sehr frisch, und mit der roten Vinaigrette sind sie eine Offenbarung. Ich genieße und lächle vor mich hin, während ich den Austern die Schalen öffne, rote Vinaigrette hinzufüge und genüßlich schlürfe.
Der zweite Gang kommt auf den Tisch: Muscheln à la Provençale. Ein großer Topf voller kleiner schwarzer Miesmuscheln, dazu knusprige Fritten – die berühmten Moule et Frites. Dieser Duft … ich stürze mich gierig auf das Gericht und kann kaum aufhören, die köstlichen Muscheln zu in meinen Mund zu befördern.
Als Nachtisch gibt es Früchte in einer leckeren Soße. Ein sinnlicher Abschluss für das Meeresfrüchte-Mahl. Ich lehne mich zurück, strecke die Beine aus und genieße den Abend.

Dann geht es ins Hotel, mit leichter Schlagseite. Der Mann an der Rezeption guckt mich fragend an, ich gucke frech zurück. „Hello!“, rufe ich ihm zu, bevor ich die Treppe zu meinem Zimmer hinaufsteige. Jetzt noch schnell mein Tagebuch schreiben, bevor das Licht ausgeht. Die Kirche nebenan schlägt mir den Takt vor, und ich lasse mich von der Melodie in den Schlaf wiegen.