Nach zwanzig Tagen Reisen werde ich allmählich müde. Die Zeit, die zu Beginn der Reise so unbegreiflich langsam verstrich, scheint nun rasend schnell zu vergehen, während die Erinnerungen an die ersten Tage langsam, aber stetig, verblassen. Es ist, als ob ich in einem Wirbelwind aus Erlebnissen gefangen bin, der die Tage miteinander verschmelzen lässt, und am Ende der Reise sind sie kaum noch voneinander zu unterscheiden.
Gedanken zur Zeit. (…)
Irgendwo in Spanien, so glaube ich, verlor ich für einen erschreckenden Augenblick jegliche Erinnerung an mein Zuhause in Deutschland. Die Verbindung zu meiner durchaus stabilen Realität schien sich in Luft aufgelöst zu haben. Plötzlich war ich in einem bekannten, aber fernen Land gestrandet. Dann, wie ein plötzlicher Lichtblitz, kehrten die Erinnerungen zurück, und ich fand mich erleichtert, doch gleichzeitig beunruhigt von diesem kurzen Ausflug in die Lücken meines Gedächtnisses.
Jeder Tag dieser Reise war gefüllt mit vielen wertvollen Augenblicken und doch verschmelzen diese wichtigen Impressionen nach einiger Zeit zu einem einzigen verschwommenen, kaleidoskopischen Bild. Die Vielfalt der Eindrücke und Erlebnisse hat mich schier überwältigt, und ich kann sie nur schwer in Worte fassen. Mein Tagebuch wurde von Beginn der Reise an, zu einem Rettungsanker, zu einer Brücke in die Vergangenheit. Ohne dieses Tagebuch würde ich nicht nur Mühe haben, all die Begegnungen, Orte und Emotionen zu rekapitulieren, die in diesen zwanzig Tagen mein Leben bereichert haben, sondern es wäre schier unmöglich.
Die Reise hat mich auf eine Weise verändert, die ich so nicht erwartet hätte. In diesen zwanzig Tagen konnte ich meine gewohnten Gedanken und Sorgen hinten anstellen, um so genügend Platz für neue Erfahrungen zu schaffen. Ich fühlte und fühle mich wie ein Kind, das die Welt zum ersten Mal entdeckt, alles als neu, aufregend und verwirrend begreift. Es ist eine Befreiung von der Routine, von den alltäglichen Ängsten und Sorgen.
Doch jetzt steht die Rückreise bevor, der Alltag ruft. Ich freue mich auf die Heimkehr, auf die vertraute Umgebung und all die Menschen, die mir wichtig sind. Die Reise wird schon morgen zur Vergangenheit, als ein Teil meines Lebens, der mir wertvolle Erkenntnisse und unvergessliche Erlebnisse geschenkt hat. Diese Erinnerungen werden meinen weiteren Lebensweg formen und bereichern.
Doch während ich mich auf die Heimkehr freue, lasten auch die drängenden Fragen der Welt auf mir. Wird es Frieden im Nahen Osten geben, oder wird die Unsicherheit und das Leid andauern? Werden Russland und die Ukraine einen Weg zur Versöhnung finden, oder wird die politische Spannung weiter eskalieren? Und die Schatten Chinas, die über Taiwan hängen, werfen Fragen über die zukünftigen geopolitischen Entwicklungen auf. Es ist eine Zeit der Unsicherheit, die sich nicht in den schillernden Eindrücken meiner Reise verliert.
Zwanzig Tage in der Fremde haben mich verändert, haben mir neue Perspektiven eröffnet, aber sie haben auch die Fragen des Lebens und der Welt nicht verblassen lassen. Inmitten dieser Zeitspanne, die mal stillzustehen schien und dann in atemberaubender Geschwindigkeit vorbeizog, erkenne ich, dass die Zeit uns mit ihren Rätseln und Herausforderungen nicht entkommen lässt. Sie begleitet uns auf all unseren Wegen, sowohl in der Fremde als auch zu Hause. Und so kehre ich alsbald zurück, bereichert und erfüllt von all den Erlebnissen, aber auch gewappnet für die unbeantworteten Fragen und die Ängste, die in der Welt herrschen.
Ich kehre zu meinen Lieblingsmenschen zurück. Zurück zu jenen, die zurückbleiben mussten. Womöglich haben sie mein Tagebuch gelesen, sich aber dennoch in ihrer eigenen Welt verloren. Gewiss, sie werden sich freuen, wenn ich zurückkehre, aber ehrlich gesagt, ist mein Platz in ihren vielfältigen Leben nur von verschwindend geringer Bedeutung. Und das ist auch gut so.
In unserer Existenz sind wir Individuen, die getrennte Wege gehen, und doch sind wir alle miteinander verbunden. Es ist ein Paradoxon des Lebens, wie wir uns in der Isolation unserer Gedanken verlieren und doch in der Gemeinschaft der Gefühle wachsen. Unsere Verbindung ist nicht durch die Quantität unserer Interaktionen definiert, sondern durch die Qualität unserer Beziehungen. Jeder von uns ist ein Stern im unendlichen Kosmos, ein einzigartiges Licht, das seine eigene Reise durch Raum und Zeit unternimmt. Doch wenn wir uns begegnen, in Liebe, Zuneigung und Gelassenheit, verschmelzen unsere Lichter zu einem strahlenden Himmel. Unsere Gespräche können wie die Sterne sein, die im Dunkel der Nacht aufleuchten, und unsere Geschichten wie Galaxien, die sich in den unendlichen Weiten des Universums entfalten.
Am Tag des Wiedersehens erkennen wir, dass die Zeit, die zwischen uns lag, nur eine Illusion war. Wir waren nie wirklich getrennt, denn unsere Gedanken und Gefühle haben sich in einem unsichtbaren Band aus Empathie und Verständnis verbunden. Unsere gemeinsame Zeit ist eine Erinnerung daran, dass wir in einem endlosen Fluss der Zeit treiben, und so können wir die Momente, die wir miteinander teilen, zu ewigen Augenblicken machen. Unsere Liebe ist dabei wie ein Kompass, der uns in dieser verwirrenden Welt durch Zeit und Raum leitet. Sie erinnert uns sehr subtil daran, dass wir verloren sein können, aber niemals verloren gehen.
In dieser Hinsicht sind wir alle, die wir da sind, zeitgenössische Philosophen des Lebens, die die Fragilität der Zeit erkennen und die Kraft der zwischenmenschlichen Verbindungen feiern. Unser Wiedersehen ist eine Feier der Einheit inmitten der Vielfalt, eine Erinnerung daran, dass wir in dieser unendlichen Reise des Lebens niemals wirklich alleine sind.
Gerade im Moment frage ich mich, wo ich mein Handy liegengelassen habe…
Torsten Gripp im Oktober 2023